2019 Okzitanien / Provence (noch im Elsass)

13.07.2019 Samstag

Die ersten beiden Tage verbrachten wir in Kassel und Sankt Leon.

Abreise aus St. Leon war um 9.15 Uhr. 20 € alles inklusive, Codekarte für die Schrankenöffnung, danach ließ ich sie in einen Metallkasten fallen. Auf (wohl nimmer) wiedersehen! Im Ort zur Tankstelle, 1,189 € der Liter Diesel, paradiesische Zustände. Reifendruck prüfen, ging nur bis 5 Bar, auf zwei Reifen zeigte das Gerät 5,5 Bar an.

Auf „kürzeste Strecke“ statt „schnellste“ im Navi eingestellt leitete es mich über die Autobahn A5. Hohes Verkehrsaufkommen, zum Glück keine Unfälle, flüssiges Fahren, wenig Baustellen. Rechts die Vogesen, links der Schwarzwald, der seinem Namen, wolkenverhangen, alle Ehre machte. Mulhouse durchfahren, das dauerte dann noch, bis wir den Campingplatz de l‘Ill in der Rue Pierre Coubertin gegen kurz vor 12 Uhr erreichten. Die Sonne brannte, wenn die Wolken die Strahlen durchließen. Einen Platz durften wir uns alleine aussuchen. Wählten einen im Freigelände neben dem Volleyballfeld und einem Spielplatz.

Uns winkten auf der Zufahrt zwei ältere Menschen auf Fahrrädern zu, wir beide assoziierten gleich „Lübecker“! Und richtig, wenig später tauchte der Mann neben meiner Fahrertür auf und sprach auf mich ein. Er stünde mit seinem Mobil „frei“. Empfahl uns gleich eine App „park4night“, dort fände man tolle Stellmöglichkeiten.

Gegen 15.30 Uhr machten wir den ersten Abstecher Richtung Altstadt, erst am Kanal entlang, dann Hinweisschildern durch eine wenig attraktive Straßenszenerie folgend. Das Schild „Marche“ führte mich kurzerhand auf Abwege. Markthallen boten immer Essbares. Neben bzw. vor der Markthalle fand ein opulenter Wochenmarkt statt. Üppiges Angebot an Obst und Gemüse. Gewusel, Menschen aller Herren Länder kauften und verkauften. Billig waren Tomaten, Melonen, Gurken und Paprika, alles in Hülle und Fülle vorhanden. In der Markthalle Ständer mit gut aussehendem Fleischangebot, Käse, Wurst etc. Einige Standbetreiber begannen bereits ihre Waren zusammenzuräumen. Unsere Wankelmütigkeit schwankte zwischen „nichts kaufen“ und „lecker Essen beschaffen“. Wenn „beschaffen“, dann Abtransport zum WoMo.

Tüten mit Gurke, Paprika, zwei Melonen, Pate, Salami, zwei Käse, Baguette und Tomate schleppte ich zu den Rädern. Die Rückfahrt im Suchmodus, Richtung stimmte, doch Orientierung fehlte, die kam nach dem Uni-Viertel mit „La Kunsthalle“ erst am Kanal Rhône au Rhin wieder.

Der Einkauf war sicher am Stellplatz angelangt, nun wollten die Sachen auch probiert werden. Salat, Käse, Baguette und der zweite halbe Hahn stillten unseren Appetit draußen am Tisch bei Wechsel zwischen stichiger Sonne und dunklen Wolken.

Nach der Mittagspause schickte ich uns auf die Reise zum Stadtteil Rebberg. Querten am Bahnhof über die Brücke auf die andere Kanalseite, dann Richtung „Zoo“ und weiter Avenue d‘ Altkirch. Hier konnten wir den Blick in die bergan verlaufenden Stichstraßen werfen, wo sich bereits alter Häuserbestand und wohlhabendes Umfeld zeigten, ob noch Bestand habend, wer weiß.

Nur im Highspeedmodus war der Anstieg bis zur Rue de Belvedere zu schaffen. Leider verschanzten sich die meisten Villen hinter hohen Zäunen oder dicht bewachsenem Heckenbestand. Ab und an erhaschte man einen Blick auf eins der Gebäude. Hinter dem Berg das Krankenhaus, irgendwelche Institute und der Zoo.

Der Zufall spielte uns den Metallturm Belvedere in die Hände. „Hinaufklettern auf eigene Gefahr“, die wir gerne auf uns nahmen. Tatsächlich bot sich uns ein weitreichender Ausblick über die Stadt und sein Umfeld. Zwei Richtungstafeln zeigten die entfernteren Objekte (Bergspitzen wie bspw. Belchen oder Mont Blanc) an.

Stromerten durch weitere Gassen, jetzt schon im Modus „Abfahrt“, bis wir wieder auf die Bahnhofsbrücke gelangten. Die Altstadt begingen wir vom Platz am Münster aus. Geschäfte waren zum Teil geöffnet. Einige Lokalitäten, die ich mir notiert hatte, fanden wir, waren aber (schon) geschlossen. Galettes im Angebot der Crêperie Crampous Mad in einer Nebenstraße namens Rue des Tondeurs regten den abendlichen Appetit an. Doch wir mussten uns zehn Minuten gedulden, alle Plätze waren besetzt. Drehten deshalb eine Runde um den Häuserblock. Bei der Rückkehr räumten gerade zwei Damen lächelnd den Tisch und wiesen uns mit Handzeichen an, dies sei wohl nun unser Platz. Keine Gourmetmeisterwerke diese Galettes, aber nett gegessen.

Die städtischen Mitarbeiter taten mittlerweile ihre Pflicht, räumten den Dreck aus der Fußgängerzone weg und holten Berge von Kartons nebst Plastiksäcken ab. Viel dunkelhäutiges Publikum war jetzt unterwegs. Jola meinte, hier in der Stadt wäre vor nicht allzu langer Zeit ein sozialer Brennpunkt gewesen, dem man jetzt mit „härteren“ Mitteln begegnen würde (Strafen, Videoüberwachung etc.).

Wieder am Kanal mit der markanten Brücke fanden wir schnell zum Campingplatz zurück. Dort spielte neben der Rezeption Musik, von einem provisorischen Tresen verkaufte jemand Getränke, etwas abseits stand ein Grill. Spät abends nahmen zur Mitternacht hin Böllergeräusche zu, Anzeichen für den morgen beginnenden Nationalfeiertag.

14.07.2019 Sonntag

Die Sonne machte ihre Runde, lugte über die hohen Bäume und gab etwas Wärme ab. Gegen 07.45 Uhr stellte ich Stühle und den Tisch ins Sonnenlicht.

Draußen Frühstück, einmal ganz unkompliziert, wenn auch Wurst und Käse mehrfach Wespen anlockten. Es zog sich, keine Anstalten für einen baldigen Aufbruch. Jola schien mehr von einem zweiten Aufenthaltstag zu träumen. Ich rätselte und wartete ab. Obwohl angekündigt war, dass die meisten Geschäfte heute geschlossen hatten, sollte eine Stadtbesichtigung gemacht werden.

Die Tourist-Information (Robert Schumann Straße) suchten wir als erstes auf. Dort gab es keine zusätzlichen Informationen, außer, dass der im Internet präsente „Reiseführer“ in deutsch dort als Papierversion auslag. Die Straßen sauber gefegt, keine Pappkartons standen mehr herum, Menschen schienen ebenfalls mit hinweggefegt, kaum jemand unterwegs, gut für uns Radler in der Fußgängerzone.

Das „Nouveau Bassin“, ein möglicherweise künstlich angelegtes längliches Wasserbecken, an dem sich zwischen uralten riesigen Pappeln (oder waren es Platanen?) 13 Skulpturen aus dem Zeitraum 2001 bis 2017 von verschiedenen Künstlern befanden, war unser nächstes Ziel. Auf der Hinfahrt trafen wir linker Hand auf das Gefängnis, wenig ansprechende Optik, warum auch?, könnte man denken. Erinnerte an dunkle Zeiten, als Menschen noch in Gefängnissen verschwanden, nur weil sie anders dachten. An der Ecke einer Stichstraße das Restaurant Entrecôte, gegenüber das „Tribunal justice“, wie passend.

Die Räder ketteten wir an eine „Parkbox für Hunde“ und marschierten den Park zu Fuß ab. Aus dem Wasser im Parc à sculpture sprudelte eine Fontäne, weiter weg sprossen Seerosen mit gelblichen Blüten auf der Wasseroberfläche. Links an der Allee (William Wyler) entlang führte der Radweg, rechts der Fußweg direkt am Ufer. Hinter den mächtigen Bäumen Wohnblocks, manche wohl gerade erst fertiggestellt. Viel Grünzeug und Blumen auf den Balkonen. Lichte Lücken zwischen den Hausreihen füllten beginnende Neubauten aus.

Jola bewunderte hier das 9. Objekt „la danse des trois“ (clair boit = helles Holz) aus dem Jahre 2005 von Alix Vonderweidt.

Kurios der Rundbau mit den angedockten gelben Balkonen.

Wieder am Ausgangspunkt zurück, widmeten wir uns kurze Zeit später, es war wenig nach 12 Uhr, der Speisekarte des Restaurants Entrecôte. Draußen saßen bereits erste Gäste und speisten. Mein rudimentäres Französisch reichte gerade, um den jungen Mann nach einem Tisch für zwei Personen zu fragen. Schon die Gegenfrage verstand ich nicht bzw. schnappte das Wort „terrasse“ auf und nickte mit Blick auf den freien Platz draußen. Fleisch war heute unser Gemüse, ich gönnte mir davor nudelförmige Calamares. Eine weitere Kuriosität die Toilette: hübsch in grau Ornamente auf den Kacheln im Vorraum der gemeinsamen Einrichtung, Schilder für Beeinträchtigte, Männchen und Weibchen. Bei den „Männern“ lediglich zwei Urinale, kein Objekt zum sitzen.

Das „Tribunal“ ein recht ansehnliches Gebäude mit kunstvoller Schmiedearbeit an Toren und Fenstern, die Uhr wirkte besonders herausgeputzt.

Nach dem Studium des Reiseführers lockte der Cour des chaînes, wo es in der „Franziskanergasse“ interessante Sachen zu sehen geben sollte.

Das dort ansässige Sterne-Restaurant war heute geschlossen, ohnehin waren wir ja ausreichend gesättigt. Hinter einem etwas versteckten Durchgang, sahen wir an zwei Häuserwänden historische Menschen abgebildet. Die Wand war damit vollständig bemalt.

Trotz Stadtplan blieb Mulhouse nach jeder Biegung oder Kreuzung ein Mysterium. Wir wollten zum Museum Electropolis, das etwas außerhalb lag. Unseren Weg mehrfach korrigiert, landeten wir hinter der Markthalle in einem ehemaligen Arbeiterviertel (Cite ouvrière). Das Viertel bestand aus Häusern in Reihen, die äußerlich nach Besitzern ohne viel Geld aussahen, ggf. haben Eigentümer mit einer Menge handwerklichem Engagement versucht, die Objekte in bewohnbarem Zustand zu halten.

Nach Durchfahrt durch eine der Gassen tauchte vor uns das Industriegelände der Firma DMC auf. Neugierig erkundeten wir das brach liegende Areal und entdeckten „Motoco“, die Künstlerkommune. Im Reiseführer als Ort der Kreativen bezeichnet, fanden dort Veranstaltungen, Ausstellungen und Vorführungen statt. Zugang gab es heute nicht.

Gelangten danach an die Pont l‘Ill, sahen eine Kunstschule, die Straßenbahn, fuhren unentschlossen, ob der richtigen Richtung, den Boulevard Stoessel an der Bahnlinie weiter entlang, im Rücken schwarze Wolken heraufziehend. Es begann relativ unvermittelt zu schütten, flüchteten gerade noch rechtzeitig unter das Dach der nächsten Bahnhaltestelle Daguerre. Dort harrten wir mit anderen Menschen vieler Herkunftsländer aus, manche verschwanden alsbald in den ankommenden Bahnen. Nach etwas Gesuche fand ich immerhin unseren Standort heraus. Als der Regen nachließ, riskierten wir die Fahrt Richtung Museum. Zuerst richtig ausgeschildert, brachen wir trotzdem ab, weil mein Hemd nass, es kalt war und das Ziel nicht genau geortet werden konnte. Ein Radhinweisschild „Campingplatz“ führte uns in die Irre, was zu einer Kreisfahrt führte und wir wieder an der Brücke standen. Genervt! Nahmen nun einen längeren, dafür bekannten Weg am Kunstmuseum vorbei.

Heißer Tee, frisches T-Shirt. Der Regen hörte den Tag über nicht mehr auf.