29.06.2023 Donnerstag
Abfahrt aus Sogndal um 09.30 Uhr, wollten den Bäcker mit Brotkauf beglücken, doch die Norweger scheinen eher spät zu frühstücken, deshalb machte der Laden wohl auch erst um 10 Uhr auf. So lange wollten wir nicht warten, also ohne frisches Brot auf die „55“, rund 30 Km bis Gaupne, dann noch einmal die gleiche Entfernung auf der „604“ bis Gjerde, der Ort lag quasi am Ende des Tales. Unterwegs auf enger Straße ein langgezogener Pulk Radfahrer, die offensichtlich einer organisierten Tour angehörten, zwischendurch ein Verpflegungswagen, Kennzeichen „E“, also Spanier. Hier hoch im Norden eine Radtour, reichen da nicht die Pyrenäen?
Rechts die meiste Zeit der Fluss Jostedøla, manchmal schäumend, oft reißend, dann wieder im breiteren Bett sanft dahingleitend.
Zwischen den Schluchten vereinzelt bewirtschaftete ebene Flächen, dann ab und an in großen Abständen Wohnhäuser.
Jostedal-Camping am Ortseingang, Lage direkt am Fluss, geschützt durch niedrigen Deich, freie Platzwahl, 2 Nächte gebucht. Nicht allzu groß die Anlage, dafür alles tipptopp, mit für jedermann nutzbarer vollausgestatteter Küche, Esstischen, Fernseher, Geschirrspüler etc. Supermarkt und Tankstelle gleich um die Ecke.
Nette Servicekraft, die Jola gleich auf einer Karte die möglichen Radrouten kennzeichnete. Nach einer Teepause mit den Rädern zum Besucherzentrum, das sich ca. 3 Km entfernt befand.
Das Gebäude, im Original aus dem Jahre 1993, zwischendurch total abgebrannt und 2013, so wie hier stehend, wieder neu errichtet, ähnelte einem Helm der Römer, oder waren es Germanen oder die Schergen aus dem 30-jährigen Krieg?
Von hier aus war das „Endstück der Gletscherzunge“ bereits sichtbar, es sah aus, als wenn über dem Eis eine Plastikfolie gespannt war. Eher erahnbar als sichtbar der Gletscherzipfel, der auch hier fast jedes Jahr ein paar Meter schrumpft.
Mit dem Rad durften wir weitere 3,5 Km auf Asphalt dem See Nirgard entgegen fahren. Beschilderung eindeutig..
Auf beiden Seiten tundraähnliche Landschaft, durch die der Wanderweg zum Gletscher führte und ab und an die Straße kreuzte. Für Autos gab es einen mautpflichtigen Straßenabschnitt, den wir kostenfrei nutzen durften.
Am Ende der asphaltierten Straße angekommen, Toilettenhäuschen, Parkplätze, ein Fährangebot, man konnte sich über den See näher an den eigentlichen Gletscher transportieren lassen, hätte dann statt 3 Km nur 1,6 Km kraxeln müssen. Wir wählten die schwierigere Variante.
Gleich ging es über größere Geröllsteine, zwischen denen Wasser aus dem Berg zum See lief. Die Rinnsale mussten wir mit unseren Wackelbeinen trockenen Fußes überqueren, schon gleich zu Beginn kein leichtes Unterfangen. Holztreppen an größeren Felsen waren außerdem zu erklimmen.
Fast an jeder Stellen mussten wir uns gegenseitig die Hände als Stützhilfe reichen. Nach gut 300 m gab es bei mir ein Einsehen, die ganze Strecke würde ich mit meinen lädierten Gelenken nicht schaffen. Stopp und Kehrtwende.
Man muss auch mal aufgeben können.
Zurück zum Campingplatz, selbst dieser kleine Abstecher hatte hungrig gemacht. Es war 13.30 Uhr. Die Küche wurde ausprobiert…
Nachmittags das Besucherzentrum noch einmal besucht und die Ausstellung angesehen. Informativ erfuhr man wie sich die Gletscher bildeten, veränderten, sprich wuchsen oder schrumpften. Wie das Tal sich strukturell, demografisch und ökologisch entwickelte. Das Verhältnis von Landwirtschaft zur Raubtierpopulation thematisierte man hier ebenso mit verhärteten Fronten wie bei uns (bspw. der Wolf und die Schafe). Die Wiederansiedelung von Rentiere im Tal schlug fehl.
Am meisten ließ mich ein Satz auf einer Info-Tafel aufhorchen, nach dem es in den letzten 4 Millionen Jahren 20 Eiszeiten gab, die jeweils ca. 100.000 Jahre dauerten, unterbrochen von Wärmeperioden, die oft eine Zeitspanne von lediglich 10.000 Jahren umfassten. Die letzte Warmperiode dauere gerade rund 11.500 Jahre an und müsste bald (was das „bald“ auch immer heißen mag) zu Ende gehen, ups! Und die Klimaveränderung mit Erderwärmung aktuell, ein Hirngespinst? Wie passt das alles zusammen.
Abends dann der angekündigte Regen.
30.06.2023 Freitag
Regen war zu Ende. Als dichte Wolkendecke hingen die Tropfen nun in der Luft über dem Tal. Hatte im Internet eine norwegische Seite mit Wetterdaten gefunden, die offensichtlich ohne Werbung und Tracker auskommt (www.yr.no – in Englisch) –> zu empfehlen. Danach wird es im Laufe des Tages freundlich(er). Dann soll es zum nächsten Gletscher gehen, „Bergset“. Erst 5 Km mit dem Rad,…. dann Wandern.
Zum gestrigen Besuch des Besucherzentrums fiel mir heute noch der Begriff „Landkartenflechte“ ein. Das sind die auf Felsen und Geröll wachsenden grün oder oliv leuchtenden Flechten, die durch schwarze Ränder getrennt eben wie Landkarten aussehen. Durch das geringe Wachstum und hohe Alter werden die Flechten zur Bestimmung des Rückgangs eines Gletschers benutzt. Die Pflanze gehört zu den Primärpflanzen, d.h. sie entwickelt sich nach Fortgang des Eises zuerst. Soviel dazu von einem Laien.
Bis mittags betrieben wir Müßiggang, warteten auf Lichtung des Hochnebels. So um 12.15 Uhr starteten wir unsere Tour, kaum im Ort über die Brücke, die über den Krundaselva führte, bog die Straße Krundalen links den Hang hinauf ab. Befestigte Asphaltstraße, die auf den knapp5 Kilometern von 200 Höhenmetern auf 411 anstieg, sprich, es ging beständig bergauf. Ungestört von Autoverkehr durchfuhren wir dieses Seitental, das erstaunlich bevölkert war, teils sahen Häuser frisch gestrichen aus, teils fehlte wohl gerade Farbe im einzigen, sonst alles führenden Supermarkt in Gjerde.
Ein bisschen Ackerbau, Schafe natürlich und einmal eine Handvoll Rinder auf einer Hangweide. In der Ferne bereits der Gletscher in Sichtweite.
…… hier hatten wir Kilometer 4 erreicht.
Nach einem weiteren Kilometer rückte der Gletscher näher…
Die letzten 500 Meter, dann war die Straße „Privat“, links ging es zum Parkplatz und zum Wanderweg. Wir waren nicht allein, etliche Wohnmobil parkte hier.
Hier der Überblick zu unserer Anreise mit dem Rad:
Auf ging es zu einem neuen Abenteuer, hoffentlich war der Weg nicht so unwegsam wie gestern. Es war so gegen 12.50 Uhr, als wir uns auf Wanderschaft begaben, der Weg ein paar hundert Meter an eingezäunten Wiesen vorbei, zunächst noch breit, folgte er dem mäandernden Fluss, guter Einstieg für lädierte Knochen.
Bald wechselte das Gelände von Kies / Geröll auf sumpfig-mattschig,
Die ersten 10 – 15 Minuten also bereits ein abwechslungsreicher Spaziergang. Übers Wasser gehen…
Menschen trafen wir bis dato nicht. Gelernt vom gestrigen Walk, hatten wir heute unsere Wanderstöcke mitgenommen, willkommene Hilfe beim Überqueren der schmalen Stege. Nach einer 3/4 Stunde bot das Eis der Gletscherzunge ein bisschen mehr seines Ausmaßes
Klein und unwichtig kam ich mir als Mensch in dieser so eigentümlichen Landschaft vor, ganz anderes Feeling als beim Wandern in Südtirol.
An vielen Stellen plätscherte es plötzlich und Wasser lief zwischen Gestrüpp oder Geröll hin zum rauschen Fluss. Zweimal teste ich das Wasser, so kalt wie vermutet, war es gar nicht. Oft dominierte die Birke das Gelände um den Wanderweg, optisch erinnerten die meisten an die Krüppelkiefern. Wir trafen zwei Frauen auf dem Rückweg, ebenfalls vom Campingplatz, denen hatten wir am Vortag „unsere Steckdose“ am Verteiler überlassen, weil deren Verlängerung nicht reichte. „Der Weg sei gut, man solle sich nicht vom Wasser ablenken lassen, danach ginge es gut weiter…“, so ihr Kommentar.
Wieder auf Steinen über Feuchtgebiete gekraxelt, jetzt folgte ein leichtes Auf, im Blick das Eis. Es schien uns weit genug gegangen, ins Tal wollten wir nicht mehr. Gerade der richtige Platz für Selfies:
Ups da hatten die 10 Sekunden für den Selbstauslöser nicht gereicht…
Na bitte, geht doch, aber ein bisschen viel Schatten. Also noch einmal…
Na, wenn das nicht ein Schnappschuss ist. Leider ist der Gletscher hier nicht der Hintergrund, aber egal, der Vordergrund ist um so bemerkenswerter. So sah unsere Wanderung auf dem Papier aus, easy going!
Aber ganz so leicht war es nicht, uns hat es gereicht; wir waren zufrieden.
Abschied vom Gletscher…
Auf dem Rückweg wieder einige Menschen getroffen, insgesamt zählte ich um die 40 Personen, die sich dieses Naturphänomen ansehen wollten. Darunter einmal drei kleine Mädchen, das größte von ihnen vielleicht gerade 7 Jahre alt. Sie plauderten fröhlich, als sie mir entgegenkamen, kein Erwachsener weit und breit zu sehen. Waren es verwunschene Troll-Kinder? Später noch mehr Kinder, im Gebüsch, mit Würstchen am Stock in der Hand, der Rest der Sippe am Wegesrand an einem Lagerfeuer sitzend.
Dann noch die äußerst adrette blonde Frau mit Pferdeschwanz und schwerem Rucksack, die schüchtern, dennoch zielstrebig, mit festen Schritten ohne Hallo an mir gen Gletscher vorbeizog.
Wie schnell man Anzeichen des Weges vergisst, als ich dieses Selfie aufnahm, dachte ich, ich wäre schon am Ausgangspunkt, aber weit gefehlt…
…. noch 10 weitere Minuten waren zurückzulegen, dann stand ich wieder vor dem Wanderschild….
Insgesamt 6 Kilometer (hin / zurück) Marsch, da wusste mein Knie, was es geleistet hatte.
Jolas Sorge, der Akku hätte nicht mehr genug „Saft“ für die Rückfahrt, war unbegründet. Die 5,5 Kilometer schafften wir beinahe ohne zu treten, weil immer bergab.
Stärkung gab es in der Küche, Currywurst selbst gemacht.