27.07.2019 Samstag
Ungewohnt mit T-Shirt zu schlafen, lag an den stark heruntergekühlten Temperaturen.
Nachdem ich gestern Abend diverse Szenarien für die nächsten Etappen durchgespielt hatte, u.a. weiter hoch an die Dordogne zu fahren, kamen wir am Morgen beim Frühstück überein, dass wir uns rückwärts an den Étang de Thau bewegen wollen. Méze als Zielort, eventuell auch Pézenas, das als lohnenswerter Besuch im Reiseführer Erwähnung fand.
Abfahrt erst gegen 11.30 Uhr, bis 9 Uhr geschlafen, weil gestern der Fernseher so lange lief.
Keine Lust auf Kreisverkehr, schaltete „Maut vermeiden“ aus und fuhr auf die Autobahn A9, wo gleich nach dem Ticket und der Auffahrt zäh der Verkehr dahinkroch, sich aber auf meiner Seite schnell beschleunigte. Auf der anderen Seite meist auf drei Spuren Stau bzw. ebenfalls im Schneckentempo ein Vorankommen.
Regen, Regen und noch einmal Schauer. Wenn schon hier in der Gegend, dann sollte es einen Versuch geben, Pézenas zubesuchen. Im Ort reger Betrieb, ein Parkplatz vor den Toren fast vollgestellt, für unser WoMo ohnehin nicht nutzbar, weil höhenbeschränkt.
Umgekehrt, aus dem Ort gefahren, Jola meldete hier einen freien Platz, dort eine Abstellmöglichkeit, ignorierte ich und drehte eine Ehrenrunde um den nächsten Kreisel. Gut einen Kilometer vor dem Ort, vor einem Gebäude, in dem Stücke von Moliere vor langer Zeit aufgeführt worden waren, fand ich einen passablen Halt. Bei Nieselregen in die Stadt (ca. 11.000 Einwohner), wo gerade der Wochenmarkt sich dem Ende neigte, dennoch emsige Geschäftigkeit herrschte. Touristen waren hier momentan in der Mehrzahl vertreten. Wesentlich attraktiveres Umfeld, hübsche Läden, oft Töpferhandwerk, Malerei etc., Museen. Moliere hat hier einmal wohl bei einem Barbier auf einem Stuhl gesessen, den man jetzt verehrungswürdig fand und der irgendwo ausgestellt sein sollte. Fußstapfen in signierten Fliesen im Trottoir, wo jeweils „Moliere“ erwähnt wurde. Jola kaufte Oliven, schwarze und grüne. Zum Weinkauf konnte ich mich nicht durchringen, zwei drei Stände boten ihren aus der Region an, probieren wollte ich nicht, obwohl eine aparte schwarzhaarige Schönheit hinter einem der Tresen Gläser zur Degustation anbot.
Ein von Jola ausgegucktes Restaurant erwies sich als scheinbar von den Servicekräften überfordert, niemand tauchte auf, um eine Bestellung aufzunehmen, außerdem sah das herausgebrachte Essen wenig ansprechend aus. Ob unsere spätere Wahl nun besser oder schlechter war, sei dahingestellt. Keinen Platz gab es im Coq Vieux, schade, denn dort sah alles appetitlich aus. Daneben ein weiteres Lokal namens La Pomme d’Amour, in das wir durchs Fenster einen Blick warfen und einen freien Tisch entdeckten. Auf den durften wir dann draußen noch 5 Minuten warten. Im Eingang ragte ein Schlauchrohr dem eintretenden Gast entgegen, es blies oder saugte warme oder kalte Luft durch eine Art Klimagerät an oder aus. Die „Mutter“ des Hauses, ein winziges Persönchen mit gerüschter schulterfreier Bluse, auf dessen nackter haut diverse Tätowierungen noch mehr abschreckten als das Outfit. Den Haarschnitt durfte man getrost „originell“ nennen. Hinten in einer Art Stufe um den Atlas herum das Haar auf Stoppellänge weggetrimmt, seitlich zottelige Strähne, alles in weißlichem Grau. Nicht nur die Schultern lagen blank, auch der Busen hüpfte ab und an aus dem rüschigen Weiß herauf, hielt sich aber soweit bedeckt, dass niemand erschrocken aus dem Lokal flüchtete.
Der Weißwein war so mies (hätte ich bei 7,50 € für ½ Liter mehr erwarten dürfen?), nach zwei Schluck blieb das Glas wie eine Unberührbare stehen. Die Miesmuscheln waren allerhöchsten zweite Wahl, viele geschlossen und das Muschelfleisch, wenn vorhanden, so klein, als wenn es künstlich geschrumpft worden wäre. Immerhin war der Käsesud essbar. Das ganze lag mir ziemlich im Magen, fürchtete kurzzeitig um meine Gesundheit. Mochte gar nicht an die Enge der Küche (ein winziger Flecken) und das Hantieren vom „Chef“ denken. Im WoMo schnell einen Schluck Rum zum Desinfizieren hinterher geschüttet. Schade, dass das Wetter nicht so mitspielte, der Ort hätte sicher einen intensiveren Rundgang verdient gehabt.
Méze bot vor dem Ortseingang eine braun-gelbe Brache als Stellplatz an, auf dem etliche weiße Gehäuse nass glänzten. Den Campingplatz fanden wir nicht gleich. Beau Rivage war eine Straße, ebenso hieß der Campingplatz. Kreisten zweimal, bis wir an der Rezeption standen.
Schöner Stellplatz mit ein wenig schattenspendenden Bäumen. Swimmingpool, stark frequentiert von Kindern und Jugendlichen. Sanitäreinrichtungen wurden gemeinsam genutzt. Waschmaschine vorhanden. An Klopapier war selbst zu denken.
Spaziergang durch den Hinterausgang des Campingplatzes zum Étang de Thau mit Blick auf Sète.
28.07.2019 Sonntag
Stürmische Nacht gewesen, der Wind hatte alle Register gezogen und mächtig am WoMo gerüttelt und die umstehenden Bäume geschüttelt.
Das Sonntagsei vorbereitet, abgewaschen; Jola verschwand, verlängerte den Aufenthalt an der Rezeption, Baguette gab es dort nicht. Sie startete eine Suchaktion, der Supermarkt in der Nähe hatte am Sonntag geschlossen, in der Stadt mehr Menschen auf den Beinen als sonst üblich: Wochenmarkt! Irgendwo am Rande des Markttreibens fand sie eine Patisserie und kam mit zwei leckeren Baguette zurück.
Den Wochenmarkt besuchten wir später. Zwischenzeitlich nicht mehr ganz so ungewöhnlich die umfangreiche Zahl der Stände und die Markthalle hatte außerdem mit Fischangeboten aufgewartet. Ohne Hunger oder Appetit kaufte es sich schlecht ein, Jola konnte bei den Bekleidungsständen der Werbung „alles 5 €“ nicht widerstehen und erwarb zwei Hängekleider. Nachdem alles gesichtet und begutachtet war, blieben wir unentschlossen; weiterfahren (den Radweg am Étang entlang Richtung Sète) oder bleiben und Mittagessen. Tranken dann in einem Bistro einen Pastis, ließen dabei die Marktbesucher auf uns wirken. Der Marktbesuch endete in der Halle, wo Jola den Rest von Crevetten an einem Fischstand für uns günstig ergatterte.
Immer noch sehr stürmische Böen bei klarem Himmel und blitzender Sonne, das waren die Rahmenbedingungen für unsere Radtour auf dem ersten ordentlichen Straßenbelag für Radfahrer auf dieser Reise. Zuerst leitete der Weg uns etwas ins Landesinnere, wo wir bei der Villa Gallo-Romaine auf einem vertrockneten Feld weiße Zelte stehen sahen, die uns anlockten. Es handelte sich um eine Art „Mittelalterlichen Markt“, am einzigen Verpflegungsstand eine lange Schlange. Kein Interesse, setzten die Fahrt fort, bald parallel zur D613. Bouzigues lockte schon am Ortseingang sofort mit Degustation und Kauf von Austern, Muscheln und sonstigen Schalentieren. Das Herz der Austernzucht war erreicht. Nicht lange gefackelt, das dritte oder vierte Lokal „Le jardins d’Oc“ gefiel uns gut und die Wahl bereuten wir nicht. 18 gratinierte Muscheln für 12 € und 9 € für den ½ Liter Weißwein. Als alle Muschelschalen geleert waren, zählte ich sogar 20 Stück.
Der Radweg blieb erfreulich breit und gut zu befahren. Der Ort strahlte einen gewissen Charme aus, Restaurants am Hafen alle gut besucht, die Sonne erleuchtete die Häuserfronten, auf dem Étang ragten die Holzgestelle der Zuchtanlage in endlosen Reihen aus dem Wasser. Der Radweg bot kurzzeitig sogar einen Damm im Étang, hier blies der Wind von landwärts besonders heftig. Balaruc-le-Vieux und Les-Bains irgendwie verschmolzen, erschienen mir größer als erwartet. Großer Campingplatz, Promenade, Stege zum Sonnen und Baden, eine moderne Therme und ein Casino. Sète rückte näher, aber uns schien der Weg bis dahin zu weit. Drehten bei und fuhren zurück.
Abends begann der nächste Alptraum, Jola fand ihr Schlüsselbund nicht. Mehr oder weniger jede Ritze im WoMo untersucht, kein Schlüsselbund, nirgends. Verzweiflung griff um sich, u.a. auch, weil nicht exakt der Zeitpunkt des Verlustes bestimmt werden konnte.
Nach vielem Überlegen fanden wir immerhin heraus, dass Jola gestern Abend beim Supermarkt ihr Rad an- und wieder aufgeschlossen hatte.
29.07.2019 Montag
Wenig erbaulich der Morgen, wieder Grübelei und Insichgehen, wo konnte der Schlüssel nur geblieben sein? Hatte Jola morgens ihr Rad / unsere Räder aufgeschlossen, sie war zur Rezeption und dann im Ort Baguette kaufen. Dort schloss sie das Rad nicht ab.
Tagsüber Recherche, Nachfrage an der Rezeption, Fahrt zur Patisserie, die hatte geschlossen.
Blieben dann einen Tag mehr in Méze. Jola fuhr den Weg zum Supermarkt ab, nichts. Einige Zeit am Campingplatz verbracht. Mittags Spaziergang die Promenade bis zum Strand, bzw. mehrere Strände. Jola nutzte die Gelegenheit, fragte im Touristenbüro nach, wo man sich nach verlorenen Sachen erkundigen könnte. Ich wartete und schaute ins Wasser, wo sie tausende Babyquallen zwischen den Schiffswänden tummelten.
Am Hafen beschauliches Treiben, die Restaurants warteten auf einen Ansturm, der am Montag wohl nicht so kommen würde. Uns kam die wochenanfängliche Ruhe zugute. Auswahl an freien Plätzen war reichlich vorhanden. Muscheln, vielleicht zum letzten Mal direkt aus dem Étang (oder wo sie auch immer herkommen mochten) im Restaurant du Port gegessen. Diesmal „ohne Limit“, hieß, wir konnten nachordern, was wir einmal machten.
Stadtrundgang, ohne Marktstände sah die Gegend gleich ganz anders aus. An der Polizeistation am Chateau Giranch trafen wir niemanden an.
Der Versuch, im Étang zu baden misslang mehr oder weniger. Am Strand stürmischer Wind, der einigen Besuchern Kummer bereitete, mal kippte ein leichter Klappstuhl immer wieder um, mal sprühte das Duschwasser der Brause durch die Gegend, mal wehte der Sand eines aufgenommenen Handtuchs auf den gerade eingecremten Nebenmann bzw. eingecremte Nebenfrau. Mein Badegang verlief wie eine Wanderung durch feuchte Grünanlagen, aufgewühlt vom Seegang waberte alles mögliche an Wasserpflanzen mit den Wellen hin und her. Ich kämpfte mich bis zum Bauchnabel ins braune Wasser vor, ließ mich von den Wellen schaukeln, gab aber schnell auf und verschwand wieder an Land. Jola beließ es bei einer Besichtigung aus sicherer Uferentfernung.
Baguette gekauft, dann im Supermarkt nach Sekt brut nature gesucht, den wünschte sich Miriam zum Geburtstag, fanden aber keinen. Dafür schnappte ich mir verschiedene Weine der Sorte Picpoul de Pinet, dem Wein der Region, der gerne zu Austern getrunken werden soll.
Abends hörten wir eine weibliche Stimme von der Bühne des Campingplatzes so laut singen, dass man die Nachrichten im Fernsehen nicht verstand. Gegen 22 Uhr schauten wir nach, wer da so einen Lärm machte. Eine etwas pummelige Frau im schwarzen Outfit namens Magalie Vae schmetterte auf den Brettern vor „vollem Haus“ ganz allein Popsongs und Chansons. Kinder tanzten in wildem Reigen vor der Protagonistin.