2019 Levico Terme

02.10.2019 Mittwoch

Gegen 02.30 Uhr torkelte ich trockenen Fußes auf die Toilette, wieder im WoMo klackerte es vereinzelt aufs Dach, es begann zu regnen. Erst in einem leisen Rhythmus, als wenn ein Ball geräuschvoll eine sandige schiefe Ebene hinabrollt. Wie der Ball, so nahm auch der Regen Geschwindigkeit auf bzw. erhob sich der Pegel lautstark zu einem Trommelfeuer.

Morgens zeigte sich das Umfeld weißlich wolkenverhangen. Die Sachen verstaut, alles richtig und ordentlich verpackt, ging es auf die Tour nach Levico Terme. Am Ausgang musste Jola bei dem Mann mit der Gehhilfe erst unseren Namen auf der vorgehaltenen Papierliste zeigen und die Abfahrtzeit war einzutragen. Dann marschierte er zu seinem Wärterhäuschen und bediente den Türöffner, wobei die beiden schweren Metalltüren sich wie in einem Film ganz langsam aufschwenkten und wir in die Freiheit hinausfahren durften.

Den gesperrten Weg ignoriert, die Alternative ignoriert und wir fuhren auf der Staatsstraße, ob es ein Umweg war, lasse ich an dieser Stelle offen. Nachdem ging es durch den ziemlich langen Tunnel und danach auf der SS47 ca. 25 Kilometer Richtung Padova, die Schlucht im Valsugana wirkte dunkel bedrohlich. Abfahrt Caldonazzo und dann waren Campingplätze bereits ausgeschildert. Der erste war – schon bekannt – geschlossen. So landeten wir auf dem 4 Sterne Campinggelände „Village Lago Levico“, der vor seiner Schranke ein umfangreiches Campergelände für WoMos anbot (20 €/Tag).

Jola wünschte eine Besichtigung des Campinggeländes, wir sahen uns deshalb Plätze für 19 €/ 22 €/ 25 € an. Letztgenannter mit eigener Toilette und Abwaschmöglichkeit. „Das gönnen wir uns für die nächsten drei Tage“ so ihr Kommentar. Platz 446 wurde ausgewählt.

Aufgestellt, alles prima.

Nur es begann zu regnen, die Aussicht für heute: bescheiden. Jola erkundete trotzdem mit dem Rad das Umfeld.

Eine Fahrt in den Ort, wir nutzten ein Stück den ausgeschilderten Wanderweg, der uns fast bis ans Seeufer führte, dann aber wegen „Privat“ nicht weitergefahren werden durfte. Levico Terme lag etwas oberhalb des Sees am Hang. Die Straßen im Ort befanden sich im typisch italienischen Zustand kleinerer Städte/Orte. 6.500 Einwohner sollen hier ihren Wohnsitz haben, deren Vorfahren vermutlich einmal bessere Zeiten erleben durften. Die Therme war kein Wellnesstempel, sondern bot u.a. Anwendungen mit eisen- und arsenhaltigem Wasser etc. an. Die Wege ins Zentrum waren meist steil, die Straße als Fußgängerzone querte den Ort am Hang eben. Hier fanden wir gegen 13.30 Uhr die Pizzeria „Al Conte“, bei der wir im Innenhof zu unserem verdienten Mittagsschmaus kamen. Mangelnde Sprachkenntnisse waren bei Einkäufen oder Bestellungen bisher kein Problem, mit Deutsch oder Englisch klappte das, wenn nicht sogleich, dann doch mindestens unter Zuhilfenahme von Gestik und Mimik.

Die Fußgängerzone wirkte verlassen, kein Wunder, es galt noch die Mittagspausenzeit.

Auf dem Weg zur Therme befand sich rechts die Kirche, am Straßenrand zwischen Fuß- und Fahrweg plätscherte ein Bächlein in einem mit hellem Stein gemauerten Bett in Richtung Rio Maggiore. Ab und an verschloss ein Holzsteg den Lauf oder eine Sitzbank war darüber installiert, von der aus man in heißen Tagen seine Füße dort hineinbaumeln lassen könnte. Am Ende des Bachlaufes sprudelten kleine Fontänen aus irgendwelchen Düsen, danach verschwand das Wasser unterirdisch.

Die Schaufensterauslagen zogen nicht unbedingt die Blicke von Passanten auf sich, jedenfalls nicht während der Mittagspause, wenn alles mehr oder weniger „verrammelt“ war. Trotzdem blieb ich vor einem Geschäft stehen, schaute in die Auslage einer Glasvitrine. Die ausgestellten Handtaschen fanden sofort meine Aufmerksamkeit. Originell fand ich dieses von mir fotografierten Exemplars mit Wählscheibe, älteren Menschen noch bekannt, jüngeren eher ein Zeugnis der Retro-Kultur.

Von der Therme aus wand sich eine Straße zum Ort Vetriolo auf über 1.300m hinauf. Eine Informationstafel erklärte, hier sei der erste Nichteuropäer beim Radrennen Giro D‘Italia als Etappensieger oben angekommen und wer es den Profis nachmachen wolle, für die stand eine Tafel mit Angaben zu den prozentualen Steigungen für jeden Kilometer bereit. Wir folgten dem Hinweis Therme-Park, auf dem Weg umkreisten wir die Therme zu Fuß, fanden den Park aber nicht. Die Kirche als Orientierungspunkt führte uns zurück zur Via Regia. Mit den Rädern unterm Hintern trudelten wir die Straße Via Marconi hinunter, an der links sich alsbald ein Eingang zum Park befand. Herrschaftlich thronte in der Ferne ein Gebäude, das sich später als Grand Hotel zu erkennen gab. Keine Beschränkungen hinsichtlich des Fahrens mit Rädern am Eingangstor gesehen, strampelten wir auf unseren E-Bikes im Park die Wege ab, meist seicht hinauf, erst zu einer Bar mit WC, dann zu dem Gebäude.

Am Ende machten wir einen Abstecher an den See, tatsächlich kam nach dem Lido bereits das Verbotsschild „keine Fahrräder“. Artig schoben wir unsere Drahtesel, wollten keinen Ärger mit Spaziergängern bekommen. Jola kaufte sich am Kiosk ein Eis und wir setzten uns für ein Viertelstündchen an eine Picknickbank in die Sonne.

Der Versuch, noch einen höher gelegenen Aussichtspunkt namens San Biagio über die Via Belvedere anzufahren, scheiterte an der Unterführung, wo Jola fröhlich weiter in die Pedale trat, mein Rufen ignorierte/nicht hörte, ich den Fußweg beschritt, die weitere Auffahrt aber scheute und umkehrte. Jola hatte wohl den gleichen Gedanken, war schon eher abwärts gefahren und hantierte am WoMo mit dem Wasserkocher.

03.10.2019 Donnerstag

Nachts öffnete der guten Mann im Himmel wieder seine Schleusen, Trommelfeuer auf dem Dach, dazu heftigste Sturmböen, die unsere Satellitenantenne in Schwingungen versetzten. Immerhin sorgte dann der Sturm für klare Verhältnisse am Morgen, keine Wolke mehr am Himmel. Die von Jola besorgten Brötchen glichen ein bisschen aufgepumpten Hefebällchen, ließen sich aber essen. Das morgendliche Reinigungszeremoniell in der Holzhütte vollzog sich spartanisch. Anmerkung: Im Winter möchte ich hier nicht meine Säuberungsrituale durchführen, der Raum hat nämlich keine Heizung; aber das ist ohnehin irrelevant, denn der Campingplatz schließt am 13.10.). Ärgernis war zudem, den Stopfen für den Abfluss im Waschbecken versenkte ich soweit, dass ich ihn zunächst nicht wieder herausfummeln konnte.

Unsere Tour heute führte uns nach Caldonazzo, Ort als Namensgeber für den gleichnamigen See. Der Radweg bis dorthin verlief ca. 1,5 Km im Zickzack durch Apfelplantagen. Im Ort übersichtliche Beschilderung, die uns in die Nähe des Seeufers lenkte. Kleine weißliche Schaumkronen, erzeugt von dem immer noch böigen Wind kräuselte die Wasseroberfläche. Der See mit seinem ihn umringenden Panorama erinnerte ein wenig an ähnliche Gewässer, wie bspw. den Lago Maggiore.

Bei meinem Blick auf den See entdeckte ich auf dem Wasser ein herrenlosen Surfbrett als Spielball der Strömung/ des Windes. Kein Besitzer in Sicht (hoffentlich kein Unfall!). Nach der Asphaltfahrt gerieten wir für ein kurzes Stück auf einen am Ufer befestigten Steg. Nach gut 4,5 Km blieb der See rechts zurück und wir näherten uns Canale, ein winziger Flecken, kurz bevor wir das eigentliche Ziel Pergine erreichten.

Ziemlich am Anfang der Einfahrt in den Ort sahen wir das Schild „Castel Pergine“, das uns auf eine schmale steile Straße gelenkt hätte. Die Ortsbesichtigung stand zunächst im Vordergrund. Am Piazza Fiere dockten wir die Räder in der Nähe zweier Ladestationen für E-Mobile an und begaben uns auf Erkundungstour. Aus dem Spaziergang durch die Fußgängerzone blieb mir ein lautes Durcheinanderreden mehrerer älterer italienischer Frauen an einem Restauranttisch in Erinnerung, zu dem ich kommentierte „hört sich an, wie wenn Waschweiber beim Aufhängen miteinander tratschen“. Suchten einen Bäcker, fanden einen, wo wir Brötchen, Brezel, Kuhbonbon und Kringel kauften. Damit im Schlepptau marschierten wir an unseren Rädern vorbei, gefunden werden wollte ein Kastanien-Park. Stattdessen pausierten wir ca. 100m weiter im Café Teatro. Die beiden Kaffee americano brachte uns der Mann an unseren Hochtisch, zwar in sonniger Lage gelegen, aber stürmisch war es nach wie vor. Jola probierte von ihren Küchlein und spendierte mir Kuhbonbon.

Großflächig blickte von einer bemalten Hauswand ein Mann mit am Ohr angelegter Hand herab, augenscheinlich wollte er mithören, was am oder über das Theater gesprochen wird.

Ein Stück weiter zwischen Baumreihen der Friedhof, etwas versteckt hinter weißen Mauern, gegenüber die Kirche zu Ehren Maria (Santa Maria).

Ich hatte bereits in der Ferne die Silhouette des Castel auf dem Berghügel gesehen. Da hinauf sollte es als nächstes hingehen.

Deutsch war hier an vielen Stellen allgegenwärtig, von „tedesco canopi” (= Knappen) war auf einer Infotafel die Rede, eine Büste eines Herrn Regensburger neben der Kirche und die Habsburger tauchten alle Nase lang bei Erläuterungen auf.

Kleinstädtische Tristesse, aufgemöbelt durch diverse Schautafeln über Vergangenes, ausgenommen die Kirchen, deren Vorplätze und der Friedhof. Wir wendeten, holten unsere Räder, fuhren ca. 2 Km bis zum Kreisverkehr, wo die etwas über tausend Meter steile Auffahrt begann. Hier musste ich schon den Modus „Sport“ und „Turbo“ bemühen, um diese Herausforderung zu meistern. Trotz Unterstützung pumpte das Herz reichlich Blut durch die Adern.

Die Mühe lohnte sich am Ende, denn die Räumlichkeiten waren absolut sehenswert, zudem boten Exponaten aus Holz allenthalben Abwechslung bei der Erkundung der alten Gemäuer nebst Außenanlagen. Im fein restaurierten Rittersaal, gleichzeitig Rezeption und Gastraum mit angrenzender Kapelle (Andreas) in Miniform, saßen wir am Burgfenster, das mit den Wappen alter Fürsten, Grafen oder sonstigen wichtigen Persönlichkeiten aus vergangener Zeit geschmückt waren.

Solche Räumlichkeiten gefallen Jola ja generell, so war ein etwas längerer Aufenthalt nichts Ungewöhnliches.

Blätterten bei Mineralwasser und Aperol Spritz in den Annalen des Kastells und lasen über die jetzigen Besitzer und deren Modernisierungsmaßnahmen. Die Abfahrt vom Kastell erfolgte notgedrungen mit angezogener Bremse. Ein Zwischenstopp nutzte ich für den nebenstehenden Schnappschuss.

Auf der Nebenstrecke an einigen Häusern des Ortes Masetti vorbeigefahren, einmal wohl falsch abgebogen, so gerieten wir kurz an die viel befahrene Straße direkt am See. Die konnten wir nach ca. 200m wieder verlassen, mussten allerdings bis Tenna gut vier Kilometer aufsteigen. Von dort aus bei 10% Neigung in rasanter Talfahrt hinunter nach Levico Terme, wo wir direkt am Campingplatz ausrollten.

Vom 30. Jahrestag des Mauerfalls bekam man hier wenig mit.

04.10.2019 Freitag

Frisch war es geworden, den morgendlichen Sonnenaufgang durch das Sonnendach im WoMo betrachtet.

Kleine Besonderheit, im Privatbad passte der Stecker vom Föhn nicht in die Steckdose.

Unser Plan, bzw. Jolas Vorschlag war, den Brenta-Radweg (nach dem gleichnamigen Fluss benannt) abzufahren. Als „familienfreundlich“ im Prospekt tituliert, sollte es auf ihm beständig bei leicht abschüssiger Neigung bis zum bekannten Grappa-Ort „Bassano“ gut zu fahren sein. Dem war dann auch so, lobenswert zudem die Beschilderung auf der gesamten Strecke. Zunächst plätscherte der schmaler Bach neben dem breiten und durchgängig asphaltierten Radweg daher, umgeben von krautigem Wildwuchs, durchsetzt von gelben Tupfern einer den Margeriten ähnlichen langstieligen Pflanze. Der Lauf erinnerte mich ein bisschen an die „Schwartau“ bei uns zu Hause. Apfelplantagen wurden teils durch Maisfelder abgelöst. An den Hängen zeugten Häuser und Kirchen von urbanem Leben in diesem breiten Tal. Unterwegs an vielen Plätzen Bänke und Tische zum Rast machen (auch Biker-Grill). Ein Stück des Radweges nutzten etliche Skater als Trainingsstrecke, wahrscheinlich übten sie für den winterlichen Langlauf. Novaledo, Marter, Roncegno hießen die Orte, die linker Hand nach und nach hinter uns verschwanden. An einer am Hang gelegenen kirchlichen Ruine baute man unterhalb Wein an. Diente die Ruine als Schutzwall gegen Murenabgang etc.?

Zwischenzeitlich breitete sich das Bächlein zu einem ansehnlichen Flusslauf aus, führte mehr Wasser bei höherer Geschwindigkeit mit sich. Enten saßen auf Felssteinen inmitten des Bettes, welche schwimmen mussten, paddelten mit ihren Füßen angestrengt gegen die Strömung an.

Radfahrer natürlich in beiden Richtungen anzutreffen, kaum jemand ohne Akku unterwegs, ausgenommen die Rennradler.

Es kam unser Zwischenziel „Borgo“ gegen 11.15 Uhr in Sicht. Ins Zentrum gelangten wir kaum 5 Minuten später. In der Nähe des gerade neu gestalteten Platzes vor dem Rathaus blieben die Räder zum Ausruhen stehen (Dante Piazza; Dante und Battisti sind im Trentino häufig Namensgeber für Plätze und Straßen). Endlich konnte sich mein Körper in der angenehm warmen Luft an der Sonne aufwärmen (die Temperaturen im Schatten und der Fahrtwind taten unterwegs ein Übriges zu fast erfrorenen Fingern und kalten Füßen).

Der Fluss suchte sich seinen Weg durch den Ort. Brücken gab es deshalb einige zu queren. Auf der vermutlich ältesten davon standen zwei Steinaltäre auf den seitlichen Steinmauern, in denen irgendwelche Heiligenbilder verewigt waren. Die Brücke vermittelte ein bisschen „Venedig feeling“.

Äußerlicher Zerfall fiel uns zuerst beim Schlendern durch die Gassen im Zentrum auf, zu Innenansichten reichte es nicht.

Doch bei genauerem Hinsehen fanden sich andere Beispiele. Viel Farbe ward auf Fassaden aufgetragen, Mauerwände verputzt und Zimmerer und Dachdecker taten ihre Arbeit: neu gedeckte Dächer und Dachstühle zeugten von Modernisierung.

Hübsch die Schule, gegenüber ein architektonischer Tupfer, ein altes Industriegelände wurde umfunktioniert, untergebracht darin u.a. die Stadtbibliothek und das Theater.

Beim Durchlauf durch die Innenstadt hatten wir bereits ein Lokal mit einer ansprechenden Speisekarte entdeckt. Dorthin kehrten wir zurück, nahmen draußen Platz. Scheinbar war dieses Lokal eine Domäne von einheimischen Werktätigen, soweit ich das an der Kleidung festmachen wollte. Es dauerte, bis eine Bedienung kam, erkannte in uns „ausländische Gäste“, schickte deshalb eine andere mit Deutschkenntnissen. Es wurde das Menü aufgezählt, zu schnell und mir nicht ganz verständlich, wünschte ich einen Blick in die Karte. Ein Fehler vielleicht, denn bis die gebracht wurde, waren wir fast verhungert. Jola nahm das Menü, was sich später als Menü Surprise entwickelte. In Erwartung eines leckeren Essens geduldeten wir uns. Währenddessen strömten gesättigte Gäste haufenweise das Lokal, wunderten uns, wo die alle herkamen. Gerade stellte ich Jola mit der Frage „gehen oder bleiben?“ vor eine Entscheidung, die natürlich zugunsten des „Wartens“ ausfiel. Just als sie aufstand, um nachzufragen, kam ein Mann mit drei Tellern. Die rötlichen Nudeln sollten eigentlich die Vorspeise des Menüs sein. Das gegrillte Gemüse war essbar, aber lieblos auf dem Teller drapiert. Das Rehragout mit Tagliatella mundete mir. Den Weißwein frizzante, der zu Jolas Menü gehörte, von dem ich probieren durfte, ließ ich als ungenießbar stehen.

Das Hauptgericht für Jola kam nicht, der Nachtisch sollte Tiramisu sein, das war jedoch aus, stattdessen musste Jola sich mit einem Stück Apfelkuchen zufrieden geben. Mein Kaffee corretta wurde mit Grappa „gestreckt“ und war für mich ein schmackhafter Abschluss.

Etwas fröstelig zogen wir von dannen der Sonne entgegen. Wir radelten weiter, Wolken zogen vermehrt auf, die Variante bis Bassano fiel durch, zu weit noch, mit dem Zug zurück wäre eine andere Option. Eine Abzweigung wies nach Castelnuevo, vorbei, dann einigten wir uns, bei der nächsten Ortsausfahrt abzubiegen, dort auf einen Kaffee einzukehren und den Weg zurück anzutreten.

Agnedo hieß der Ort, zu dem wir bei 8% Steigung uns hinauf hangelten, uns dann wunderten, das Ortsschild von Stringo vor uns zu sehen. An der Bar Centrale gehalten, Cappuccino (2,60 € für beide!) bestellt und den Puls auf Normalfrequenz kommen lassen.

Was wir an Anstrengung für das Hinauf aufwendeten, neutralisierte das genüssliche Hinabgleiten nach Scurelle und Castelnuevo, wo wir wieder auf den Brenta-Radweg gelangten. Wundersamerweise schien es auch auf dem Heimweg nicht wirklich Steigungen zu geben. Kurz vor Levico Terme schickte die Sonne eine Botschaft durch die Wolkendecke, was einer Szene „göttlichen Sendungsbewusstseins“ glich.

Ein angenehmes Gefühl, trocken, nicht (mehr) unterkühlt und ohne Pannen wieder am WoMo zu sein.

Die Planung des weiteren Reiseverlaufes warf seine Schatten voraus. Jola tendierte zu einem Aufenthalt auf der Seiser Alm, ihrem Wunschziel. Für mich derzeit kein Thema, wenn, dann nur auf der Rückreise. Ohnehin sei es nach dem Wetterbericht dort regnerisch und Schnee sollte fallen. Keine Option für mich. Entweder gen Adria um Venedig herum oder Bergamo und an die Seen (Iseo / Lago Maggiore).

Weil morgen die Sonne (ein letztes Mal) scheinen soll, werden wir wohl den nächsten Tag noch am jetzigen Standort bleiben.

05.10.2019 Samstag

Genau so kam es, beim Frühstück fiel die Entscheidung, hier zu bleiben. Kaum etwas beeinträchtigte die Sonne beim Scheinen. Eine Fahrt nach Roncegno Terme, Jolas Idee von gestern, verschoben wir auf den Nachmittag. Stattdessen zogen wir unsere Wanderschuhe an, marschierten zum See, den Weg Belvedere entlang, wie schon vor ein paar Tagen mit dem Rad. Das Ziel: das Kirchlein San Biagio in rund 550m Höhe mit Aussicht auf See und Stadt. Keine Wanderwegmarkierung oder Beschilderung. Da es aufwärts gehen musste, beschränkte sich die Suche auf der Via Emanuele Richtung Zentrum auf eine Abzweigung auf die nach oben führende Via Biagio. Über einen Parkplatz und eine Treppe konnten wir den Weg abkürzen. Gemächlich wanderten wir bergauf, leicht schwitzend legten wir die Strecke in ca. 30 Minuten zurück. Am Wegesrand Rastmöglichkeiten, von wo aus ein Blick auf die Stadt möglich war.

Eine Kehre noch, dann erschien das weiß getünchte Kirchlein, davor eine Wiese, auf der Krokusse (?) blühten.

Aus Holz gefertigte Sitzgelegenheiten (für die 12 Apostel?) vor einem überlangen Tisch, dessen Platte krümelsicher breite offene Rillen aufwies und eine Sitzbank, dessen hölzerne Lehne mit aus Holz geschnitzten Noten verziert war, sehr putzige Idee. Vermutlich sitzt hier – „nach dem Abendmahl“ – der Dirigent/Chorleiter. Vor der Bank dann wieder fünf oder sechs Holzklötze für den „Chor“.

Es blieb natürlich nicht aus, dass wir die Position des „Chorleiters“ auf der Bank einnahmen und für die kurzfristige Ewigkeit ablichteten. Die Kirche war geschlossen, Besichtigung nur montags oder nach Absprache mit Pensionären, die ehrenamtlich Führungen machen. An den Wänden huschten einige kleinen Eidechsen hin und her, nutzten die recht kräftigen Sonnenstrahlen zum Auftanken, genau wie ich. Eine verschwand plötzlich unter meinem Rücksack, der auf einem Mauersims stand.

Ein Mann saß hinter der Kirche auf einem Rastplatz, hatte wohl gerade gespeist und rubbelte auf seiner Jacke herum. Er nickte und kam kurz darauf zu uns herüber. Ein Bayer, gesprächig (wie er später selbst anmerkte nur dann, wenn ihm die Gesprächspartner sympathisch sind), verriet, er sei seit 14 im Ruhestand und hätte „nichts“ gemacht und nun hätte seine Frau ausgerechnet im Urlaub plötzlich über 40° Fieber, und es könnte doch alles ganz schnell vorbei sein, und dann ärgerte man sich, etwas nicht gemacht zu haben usw. Er wirkte noch nicht richtig orientiert, hier am Urlaubsort, wo sie in einem Spa-Hotel untergebracht seien, durch Zufall hier gelandet, weil sie eigentlich in die Wachau wollten, aber keine passenden Angebote … usw. Nachdem wir von unserem WoMo und den Reisen erzählten, schien er nachdenklich zu sein, bedankte sich für das anregende Gespräch mit dem Hinweis, wir hätten ihm vielleicht den entscheidenden Kick gegeben. Was auch immer daraus würde… Vielleicht kauft er sich ein Wohnmobil?

Eigentlich wollte ich mich ein bisschen Sonnen, Freikörperkultur in Teilen betreiben. Ein fast gänzlich in lila gekleideter Mann kroch den Berg hinauf, schaute sich um, saß später abseits auf einer Bank und sinnierte vor sich her (vielleicht betete er ein Mantra). Ich clusterte ihn als einen Krishna-Anhänger (dazu fiel mir die Anmerkung von Frau Karasek aus der Talkshow ein, man solle nicht jemanden vorschnell in eine „Schublade“ einsortieren, vielmehr mehr Offenheit demonstrieren … oder so ähnlich). Jola zog es hinab. Ein Bild von der Kirche, die uns so seltsame Erlebnisse gebracht hatte. Die Loc. Belvedere umfasste einen Sportpark, an dem wir uns vorbei dem Zentrum näherten. Ich animierte Jola, mich auf einer der Sitzbänke liegend über dem Bächlein abzulichten.

Um 13 Uhr saßen wir zum zweiten Mal im Al Conte, Pizza für Jola, ein Stück vom Ibericoschwein für mich, zwei Glas Sauvignon und Kaffee Corretta mit Grappa als Abschluss.

Der Verdauungsspaziergang erfolgte am Rio Maggiore hinab zum Sportplatz, das Wasser mäanderte in einem Rinnsal gen Tal. Unsere neuen Schweizer Nachbarn begrüßten uns mit „wieder da“, woraus nach einer halben Stunde ein „und schon wieder los“ wurde. Los fuhren wir mit den Rädern nach Roncegno Terme, dort sollte irgendwo ein Alpinsee sehenswert sein. Wagten die Strecke durch Levico Terme über Novaledo und Marter. Wesentlich stärker rollerten wir hier die Straße hinunter, kaum einmal war in die Pedalen zu treten. Den Blick auf die Tal- und Bergwelt rechtsseitig der Brenta fand ich beeindruckender als vom Radweg auf die linke Seite. Nach Roncegno Terme für nicht ganz zwei Kilometer dann auf Sport den Anstieg gemeistert. Hier schien die Zeit stehen geblieben zu sein, drei sehr schöne alte Villen lagen verlassen und ruiniert beidseitig der Zufahrtsstraße, eine davon gehörte früher einmal dem Direktor der Therme. Im Ort kein Schild mit Wanderweg zum See. Den gab es hier auch nicht. Der Park war keinen ausführlichen Besuch wert. Verließen den Ort, wechselten nach Marter auf den Radweg und fuhren heim.