17.07.2019 Mittwoch
Um 07.25 Uhr aufgewacht. Kein sirrendes Geräusch über Nacht zu hören gewesen. Jetzt schallte in kürzeren Abständen Autolärm von der nahen Straße über Hecke und Zaun. Duschkabine im neuen Trakt sah etwas sparkig aus, ansonsten erfrischenden Nass. Holte mir von der Rezeption den Katalog des Festivals. Jola war mit dem Abwasch verschwunden, das Wasser kochte im Aufbereiter.
So um 08.30 Uhr schwoll das Sirren in den Bäumen an. In der Garage entdeckte ich ein größeres Insekt, reglos, weil wohl schon tot. Muss eins der „Lärmmacher“ gewesen sein (nein, war keine Zikade!).
Beim Frühstück entschieden, eine weitere Übernachtung hier einzulegen.
Mit moderater Morgensonne den Weg zur Fähre gesucht und gefunden. Am Uferweg entdeckten wir einige merkwürdige Objekte, so etwas wie „Kunst am Kai“. Hier im Hintergrund u.a. ein demoliert aussehendes Wohnmobil aus Plastik.
Am Anleger erfuhr ich von einem „Fährmann“, Fahrräder würden mitgenommen. Nach der Querung der Pont E. Daladier begann unsere äußere Stadtumrundung, leider auf keinem adäquaten Radweg. Der Besuch der Pont d‘Avignon, für Jola kein Thema, 5 €, um auf die Brücke zu kommen, nein Danke! Nicht mehr genau zu lokalisieren war, wo wir innerhalb der Stadtmauer den Weg fortsetzten, ich meine, es war Porte St. Joseph. Nicht mehr so überraschend, die plakatierte Altstadt, ob Poller, schmiedeeiserne Fenstergitter oder an Bäumen, auf Leinen oder an Wänden, Werbung für Vorstellungen. Daneben verkleidete Menschen, Menschen, die singend oder auf Instrumenten spielend auf ihren Gig aufmerksam machen wollten.

Am Place L‘ Pasteur fand ich weitere Anzeichen von Werbung für Theaterveranstaltungen, auf den Sets auf den Tischen der Restaurants. In einer Seitenstraße vom Platz stellten wir unsere Räder ab.
Nun galt es, den Weg bis zur Gartenanlage des Papstpalastes zu finden und zu beschreiten. Ich ließ Jola den Guide spielen, ein bisschen mehr Aufmerksamkeit auf Umgebung, vor allem Straßen und Abzweigungen zu beachten. Die Stufen zum Jardin des Doms par l‘escalier Sainte Anna mühselig bei ermattender Hitze aufgestiegen. Weitblick in alle Richtungen, auf Rhône, das Fort André, mit Glück auch auf den Mont Ventoux.
Treppauf, nun wieder Treppab auf den Platz vor dem Palast, wo lautes Gerede und ein Kreis Menschen uns anlockte: Dramatisches Straßentheater! Der grauhaarige Mann mit charismatischer Ausstrahlung verstand es gekonnt, die richtigen Zuschauer aus dem Publikum für sein Spektakel auszusuchen. Ein Kanadier, ein Mann wie von der Harley geholt, ein Belgier(?), und zu guter Letzt die wichtigste Person, die Schöne.

Stets gekonnt vorgemacht, animierte er seine Protagonisten dazu, seine Regieanweisungen umzusetzen. Hier auf dem Foto eine Szene, bei der die „Angebetete“ aufpassen musste, was ihr Lover ihr überbringen will. Er machte es mimisch in „tragender Rolle“ vor. Der Kanadier fand es lustig, machte aber super mit. Das Ganze ging dann für einige Zuschauer bis an die Schmerzgrenze des Erlaubten. Zur Überraschung und Begeisterung aller spielten alle vier mit, bekamen viel Applaus.
Wir aßen gegen 13 Uhr in der Rue Galante bei D’Ici & D’Ailleurs.
Marsch durch den Irrgarten Avignon, ohne Stadtplan würde ich mich ziemlich verloren gefühlt haben.

Vorteil solcher vermeintlichen Irrgärten ist, man entdeckt unerwartet Orte, Dinge, Sachen oder Menschen, die man gerade, vor einem auftauchend, nicht vermutet hätte. Hinterhöfe, Gänge, verwinkelte Ecken, wo Überraschendes einen ereilt.
Wo genau die Speisekarte auf den Tischen dieses Restaurants lag, fiel dem Tempo zum Opfer, in dem wir uns durch die Gassen bewegten.

Wie es so geht, plötzlich – welch ein Signal – tauchte die Markthalle vor uns auf, einseitig total grün bewachsen. Nach einigen unnötigen zusätzlichen Durchschreitungen von Gassen, die wir eigentlich nicht gehen wollten, erreichten wir den Platz Pasteur wieder. Was nun machen? Die mörderische Hitze in der Stadt irgendwie überstehen? Oder zurück zum Campingplatz in den schattigen Platanenhain? Zögernd und zaudernd entschieden wir uns für eine Pause in eigener Umgebung. Schon von der Hitze gezeichnet, fuhren wir auf dem Rückweg an dem Chemin ahnungslos vorbei, folgten einem Pärchen auf dem Rad, überholten es, um in einer Art Sackgasse zu landen, die uns zur Umkehr zwang. Das Sirren der Zikaden dauerte an, mir fiel dazu ein, es klänge mehr nach dem Rasseln von gefüllten Kugeln eines Rhythmusinstruments (bei jeder Erwähnung eine neue Umschreibung). Nicht so schlimm der „Umweg“, wir fanden trotzdem zum WoMo zurück. Der Campingplatz Municipal entpuppte sich mehr und mehr als angenehmer Aufenthaltsort: Waschanlagen in Ordnung, keine unangenehmen Laute vom Jugendcamp, schattiges Dasein, lediglich der ab- und anschwellende Autolärm vorbeirasender Fahrzeuge beeinträchtigte das Camperglück.
Pause bis ca. 18.45 Uhr.
Jolas Vorstellung vom Resttag sah vor, mich zur Fähre zu begleiten, um dann allein zurück zu fahren. Die Mündung der Stichstraße schauten wir uns genauer an. Der Schriftzug „Légumes“ auf einem Aufsteller sollte der Merkposten für den Abzweiger sein.

Die Fähre legte gerade an, unsere beiden Räder durften als erstes aufs Boot, abzustellen auf extra ausgewiesenen Plätzen. Vier weitere Personen hievten ihre Vehikel an Bord. Zwei hübsche Asiatinnen fuhren mit. Klein, aber fein, hatten sie scheinbar für den Ausgang sharing outfit gemacht. Die eine trug den gelb schwarz karierten Rock, die andere den Blazer dazu. Ca. zwei Minuten nur dauerte die Überfahrt über die Rhône. Jola begleitete mich weiter, machte keine Anstalten, sich auf den Rückweg zu begeben.
Die kleine Zufahrt Porte de la Ligne durch die Stadtmauer brachte uns nach einer kurzen Anfahrt zum Place Carnot. Menschen umringten darauf eine Gruppe Breakdancer und beklatschten die wirbelnden Drehungen enthusiastisch. Unsere Räder ließen wir dort angeschlossen stehen. Jola begleitete mich weiter treuherzig und sie schien keinen Gedanken mehr an eine vorzeitige Rückkehr zu verschwenden. Einige Geschäfte boten ihre Waren noch an. Insgesamt wirkte das Umfeld heute etwas ruhiger, keine Hektik mehr, in den schattigen Gassen herrschte fast angenehme Kühle. An Essen hätte ich gerne wieder eins der belegten Baguette verspeist, doch der Laden befand sich an einem anderen Ende der Innenstadt. Das Haus der Weinregion Cote du Rhone in einem Hinterhof bot gegen 10 € Eintritt die Degustation verschiedener Weine der Region an, zudem spielte ein Duo auf einer kleinen Bühne alte Hits. Ganz entschlossen waren wir nicht sofort, wanderten weiter auf der Suche nach dem Baguette, ohne das Geschäft zu finden.
Wir zahlten dann den Eintritt, erhielten jeder ein Weinglas und einen Stempel auf den Handballen. In der Mitte des Hofes ein Zelt, an dem mehrere Personen jeweils Wein aus ihrer Region in Probierschlückchen ausschenkten. Mehrere Namen der Weine beinhalteten die Bezeichnung „Plan de Dieu“ (ich deutete das als den Plan Gottes). Als erstes genehmigte ich mir einen Weißwein, danach mehrere Rotweine. Einer leckerer als der andere. Auf dem Tresen standen Brotkörbe und Holzbretter mit Käse oder Schinken. Unbedacht wie ich war, wähnte ich diese als Probierhäppchen zum Wein. Doch weit gefehlt, sie gehörten anderen Weingenießern, die diese Platten teuer bezahlt hatten. Jola besorgte dann einen Käseteller, für den wir erst einige Runden im Hof drehen mussten, bevor wir eine Abstellmöglichkeit dafür fanden.

Das Duo mit der Frau am Kontrabass besang die Gäste, gegen die laute Resonanz der sich unterhaltenden Weintrinker kamen sie, trotz Verstärker, kaum an. Auch wenige Schlucke können in der Summe ihre Wirkung erzielen, der Gaumen wurde lockerer, der Körper dafür schwankender. Jola sorgte sich, ob sie mich heil zum Campingplatz zurückbringen würde. Aber kein Thema, sogar die Stichstraße wurde nicht übersehen.