01.08.2019 Donnerstag
Gern wäre ich noch länger hier geblieben, das Fest am Wochenende miterlebt. Nur sollte der nächsten Aufenthalt ja endlich näher an die Heimat heranrücken. Ursprünglich war als Etappenziel die Region Dentelles de Montmirail eingeplant, ein Herzstück des Weinbaus und Bestandteil der Route Touriste Cote du Rhône. Unbedingt besucht werden sollte vor der Abfahrt der Wochenmarkt in L‘Isle-sur-la-Sorgue. Ungewaschen und ohne Bissen radelten wir in die Stadt. Der Markt erstreckte sich durch die halbe Altstadt um die Kirche hin bis an die Ufer der Sorgue. Wir waren sehr früh vor Ort, manche Marktbeschicker bauten ihre Stände auf oder bestückten mit einem Lied auf den Lippen die Auslagen mit ihrem Sortiment, Oliven schaufelte man aus blauen Plastikeimern in hübsche halbrunden Holzschüsseln, der frische Schafskäse wurde appetitlich drapiert usw. Die Entscheidung fiel schwer, also erst einmal eine Proberunde gedreht und das Angebot gesichtet. Am Ende lagen ein Schwertfischsteak, Crevetten, Melonen, Tomaten, Oliven, Pate und vier runde Ziegenkäse in unserer Tragetasche. Zwei Baguette wanderten mit auf den Campingplatz.
Das Frühstück war verdient und entsprechend umfangreich im Angebot.
Es kam ein Ehepaar aus Hameln mit ihrem WoMo, parkten gegenüber ein. Kleiner Austausch an Reiseinformationen, woher, wohin, was ist passiert, wo ist es schön.
Jola schien die festgelegte Marke nicht weit genug gen Norden zu gehen. Egal, erst einmal losgefahren. Orte die wir „berührten“ oder durchfuhren waren Pernes-les-Fontaines, Carpentras, Aubignan und Vacqueyras, Weinstöcke so weit das Auge reichte, Orte wie Schwalbennester an Berghänge geklebt, bei offenen Fenstern das geräuschvolle Konzert der Zikaden. Eine Domaine nach der anderen warb auf seinen großen Straßenschildern mit Verkauf und Degustation. Gigondas (als „Lieblingsort“ bezeichnete die Reisebuchautorin diese Stadt) lag etwas oberhalb, die Straßen wurden enger, Jola befürchtete wieder, ich würde in ein Ortszentrum fahren, aus dem es keine „Wiederkehr“ gäbe (sprich keine Umkehrmöglichkeit etc.). Doch ich wagte die Einfahrt, mogelte mich quasi zwischen zwei Restaurants durch und erreichten einen Parkplatz, der sogar Wohnmobilstellplätze auswies. In einen freien schob ich unser WoMo zwischen PKW.
Als die Sonne beinahe am höchsten stand, durchkämmten wir die Gassen, auch hier Verkostungsstellen der Weingüter mit Verkauf, teils auch mit Restaurantbetrieb. Ateliers mit Kunst unterschiedlichster Prägung. Das Sensoriel lockte uns bis fast auf die oberste Ebene des Ortes. Ohne Eintritt durften wir in den Räumen aus diversen Glasfläschchen Riechproben durchführen, um zu erraten, welcher Duft uns in die Nase stieg (Thymian erriet ich als einzigen). Man erfuhr etwas über die Böden, auf denen der Wein angebaut wurde, konnten einen Film über den Anbau ansehen und einen Blick in den Weinkeller werfen. Grenache, Syrah und Mourvédre wachsen hier in höherer Lage scheinbar besonders erfolgreich, die Weine haben wegen der begrenzten Fläche auch ihren Preis.
Ein paar Kunstobjekte bereicherten die Umgebung um das Ausstellungsgebäude, von dessen Terrasse ich einen Blick ins Tal und auf das es begrenzende Bergmassiv hatte.
Gegessen hatten wir natürlich auch im Ort, bei Bar a Vin NEZ! in der Rue du Rouvis unter einer riesigen Platanen.
Jola machte eine Degustation, kaufte zwei Flaschen Weißwein.
Danach ging es im Talkessel weiter über Sablet nach Vaison-la-Romaine. Den Campingplatz ausgeschildert bereits vor Augen, standen wir zunächst an der falschen Stelle in der Straße, drehten bei, um ihn dennoch nicht zu entdecken. Einmal um den Kreisel vor dem römischen Theater, dann hinter dicker Mauer den Eingang gefunden. Einen schattigen Platz gab es noch, wie wir am nächsten Tag merkten, nur für eine Nacht. Der Platz war vorgebucht.
Spaziergang in den Ort. Überall liefen oder standen Menschen mit einer Akkreditierungskarte am Band um den Hals, ein Zeichen für das gerade begonnen Chorfestival, das hier alle drei Jahre ein Großereignis ist und wohl tausende Sänger in die Stadt spült. Aus der Arena klang von einer Probe Gesang auf den Campingplatz, der quasi gegenüber lag. Durch die vielen jungen Leute sowie den Besuchern wirkte die Stadt recht quirlig, die Straßen zudem nicht so eng und die Gassen weniger dunkel. Gelbliches Licht der Beleuchtung tauchte alles in ein Sujet alter Meister wie Van Gogh oder Picasso.
Jola verwies auf den Stadtplan und bugsierte uns auf der Römischen Brücke (aus dem 1. Jahrhundert n.u.Z.) über die Ouvèze (leicht vertrocknet) in Richtung Altstadt, die mit leichter Mühsal erklommen werden musste. Bei Sonnenschein ein beschaulicher Flecken Erde, die Gassen so eng, kam ein PKW musste ich den Bauch einziehen und mich zur Hauswand wenden. So altertümlich, man hätte hier Filme drehen können, Jahrhunderte zurückliegend. Eine Galerie (zwei Künstler) lockte ins Innere. Oft verwendete Muster in leicht abgewandelter Form bildeten ein Motiv, wie wenn man in ein Haus ohne Außenmauer schaut und die einzelnen Wohnungen mit ihrem Interieur und Bewohnern sieht.
Es war kurz vor 19 Uhr, die Schweißdrüsen taten ihre Arbeit ungebremst, die Zikaden trällerten ihren rasselnden Sound ebenso inbrünstig. Auf dem Weg zurück entdeckte ich eine an einem Telefonmast, gut getarnt in ähnlicher Farbe wie der Beton.
Eine gelungene Aktion fand ich die Sache mit den in der ganzen Stadt ausgelegten Büchern. Auf Mauern, Zaunfundamenten oder Fensterbänken lagen Exemplare aus, versehen mit einem Hinweis, dass man das Buch mitnehmen, lesen und an einem anderen Ort wieder auslegen dürfe.
Ab 20.30 Uhr hallte dann der Lyoner Jugendchor aus der Arena ins Umland.
02.08.2019 Freitag
Wie es zu der Entscheidung kam, einen Tag zu verlängern, lasse ich einmal dahingestellt. Problem war, wir durften nicht auf dem gleichen Platz verweilen. Blieb nichts anderes übrig, als einzupacken, abzuräumen und umzuparken. Der neue Platz war nicht schlechter, sogar näher zu den Sanitäreinrichtungen. Durch den Umzug verzögerte sich der Tagesablauf. Ich hatte aus dem Touristenbüro detaillierte Fahrradrouten der Umgegend besorgt und die Tour über Roaix, Rasteau bis hin nach Cairanne ausgesucht (den Rest der Rundfahrt vernachlässigte ich). 16 Km nach der Streckenbeschreibung, mit der Möglichkeit, alternative Wege zu fahren. Zwar fanden wir kaum wirkliche Radwege getrennt von der Fahrstraße vor, dafür aber wenig befahrene in landschaftlich schöner Umgebung am Rande des Talkesseln durch fast ausschließlich Weinfelder. Der Wind blies kräftig ins Tal und hinderte manchmal an geordneter Vorwärtsfahrt. Dafür schob er nach einer ziemlich steilen Abfahrt zusätzlich mächtig im Rücken an.
Die Trauben hingen dicht an dicht an den relativ kleinen Stöcken, wie schaffen die das nur, wenn die Trauben erst reif und schwer geworden sind?
Nach gut 5 Km den Ort Roaix durchfahren, als Abwechslung tauchten mit Pinien eingefasste Areale am Horizont auf, später in Jungform in Baumschulen in Reih und Glied gezüchtet.
Rasteau war mir als einer der Weinorte der Region in Erinnerung geblieben, wäre gerade das richtige Ziel zur rechten Zeit für eine Mittagspause gewesen. Um in den Ort zu gelangen bedurfte es einiger intensiverer Pedalumdrehung im Sportmodus. Umso enttäuschter blickte ich über den leeren Platz an der Touristeninformation. Eine Bar, vor der drei Einheimische bei einem Gläschen Bier saßen, ansonsten kein Angebot für Hungrige. Trotzdem gab es ein Mitbringsel aus diesem eher verschlafenen Weindorf. Eine Flasche aus der Domaine des Nymphes für 7,50 € kam in einer Plastikhülle mit auf die restliche Wanderschaft. Die Abzweigung nach Sablet war exakt beschrieben, doch es fehlte das grüne Radschild, gut, dass der Name des Feldweges (Chemin de la Dague) genannt war.
In Sablet fanden wir nach abgebremster und trotzdem rasanter Talfahrt nach etwas Sucherei am Marktplatz ein lauschiges und zugleich schattiges Plätzchen bei Le Bar des Sports für einen Mittagstisch. Schatten war, neben einer Flasche Wasser, ein wichtiger Aspekt um diese Tageszeit. Beide aßen wir recht appetitlich aussehende Pizza, dünner Teig, fast wie bei Flammkuchen. Nach der Zahl der Gäste musste es das einzige geöffnete Restaurant im Ort gewesen sein. Gestärkt verließen wir den Ort, sahen bald rechts Seguret, wieder ein Dorf an den Berg geklebt. Hochgewachsene Bambushecken begrenzten mancherorts die Felder.
Die Hitze spürte ich bei der Fahrt vermehrt unter dem Hut, das, obwohl der Gegenwind für reichlich Kühlung sorgte. Bald schloss sich der Kreis, das Tal war fast umrundet, vor Roaix nach Vaison-la-Romaine abgebogen.
Gewebegebiet, schon bei der Herfahrt aus dem WoMo geortet, jetzt zog es auf einem komfortablen Radweg vorbei, wenige hundert Meter weiter tauchte ein Miniatur von Stonehenge auf. Zügig geknipst, schnell weitergefahren, bloß nicht zu lange stehend/ruhend in der gleißenden Sonne verbringen. Pause am WoMo.
Abends losgezogen, vor der Arena dem Dargebotenen gelauscht. Auf der Bühne versuchten Menschen Menschen auf den Rängen (gut gefüllt) zum Mitsingen zu animieren. Sektenhaft wirbelten Hände von gelbbetuchten T-Shirtträgern in die Höhe, die sich schaukelnd wiegten. Die im Programm und auf Plakaten angekündigte A-Capella-Gruppe mit Jazz-Vokals kann das nicht gewesen sein, meinte Jola.
Wir fingen dann die Abendstimmung am Platz Montfort bei einem Bier/Pastis ein. Kinder turnten an den Wasserspielen, versuchten den Strahl mit Hand oder Fuß zu bändigen, genauso wie ein Hund versuchte, in die Fontäne zu beißen. Kinder rannten sich die Lunge aus dem Hals, Eltern jagten ihren Kleinen hinterher.
Bier und Pastis war ausgetrunken, ich angesäuselt, wollte langsam nach Hause. Jola eher geneigt, bis zum Morgengrauen hier auf dem Platz sitzen zu bleiben und sich von dem Gemurmel einlullen zu lassen.
Chormitglieder saßen in Gruppen zusammen, später stellten sich ein paar Jugendliche auf ein Podest und ließen sich von einem Mann dirigieren, tanzten und sangen in Spanisch zu ihrer Melodie. Abends wieder mal Streiterei um die nächste Etappe.