Archiv der Kategorie: Okzitanien

2019 Avignon

17.07.2019 Mittwoch

Um 07.25 Uhr aufgewacht. Kein sirrendes Geräusch über Nacht zu hören gewesen. Jetzt schallte in kürzeren Abständen Autolärm von der nahen Straße über Hecke und Zaun. Duschkabine im neuen Trakt sah etwas sparkig aus, ansonsten erfrischenden Nass. Holte mir von der Rezeption den Katalog des Festivals. Jola war mit dem Abwasch verschwunden, das Wasser kochte im Aufbereiter.

So um 08.30 Uhr schwoll das Sirren in den Bäumen an. In der Garage entdeckte ich ein größeres Insekt, reglos, weil wohl schon tot. Muss eins der „Lärmmacher“ gewesen sein (nein, war keine Zikade!).

Beim Frühstück entschieden, eine weitere Übernachtung hier einzulegen.

Mit moderater Morgensonne den Weg zur Fähre gesucht und gefunden. Am Uferweg entdeckten wir einige merkwürdige Objekte, so etwas wie „Kunst am Kai“. Hier im Hintergrund u.a. ein demoliert aussehendes Wohnmobil aus Plastik.

Am Anleger erfuhr ich von einem „Fährmann“, Fahrräder würden mitgenommen. Nach der Querung der Pont E. Daladier begann unsere äußere Stadtumrundung, leider auf keinem adäquaten Radweg. Der Besuch der Pont d‘Avignon, für Jola kein Thema, 5 €, um auf die Brücke zu kommen, nein Danke! Nicht mehr genau zu lokalisieren war, wo wir innerhalb der Stadtmauer den Weg fortsetzten, ich meine, es war Porte St. Joseph. Nicht mehr so überraschend, die plakatierte Altstadt, ob Poller, schmiedeeiserne Fenstergitter oder an Bäumen, auf Leinen oder an Wänden, Werbung für Vorstellungen. Daneben verkleidete Menschen, Menschen, die singend oder auf Instrumenten spielend auf ihren Gig aufmerksam machen wollten.

Am Place L‘ Pasteur fand ich weitere Anzeichen von Werbung für Theaterveranstaltungen, auf den Sets auf den Tischen der Restaurants. In einer Seitenstraße vom Platz stellten wir unsere Räder ab.

Nun galt es, den Weg bis zur Gartenanlage des Papstpalastes zu finden und zu beschreiten. Ich ließ Jola den Guide spielen, ein bisschen mehr Aufmerksamkeit auf Umgebung, vor allem Straßen und Abzweigungen zu beachten. Die Stufen zum Jardin des Doms par l‘escalier Sainte Anna mühselig bei ermattender Hitze aufgestiegen. Weitblick in alle Richtungen, auf Rhône, das Fort André, mit Glück auch auf den Mont Ventoux.

Treppauf, nun wieder Treppab auf den Platz vor dem Palast, wo lautes Gerede und ein Kreis Menschen uns anlockte: Dramatisches Straßentheater! Der grauhaarige Mann mit charismatischer Ausstrahlung verstand es gekonnt, die richtigen Zuschauer aus dem Publikum für sein Spektakel auszusuchen. Ein Kanadier, ein Mann wie von der Harley geholt, ein Belgier(?), und zu guter Letzt die wichtigste Person, die Schöne.

Stets gekonnt vorgemacht, animierte er seine Protagonisten dazu, seine Regieanweisungen umzusetzen. Hier auf dem Foto eine Szene, bei der die „Angebetete“ aufpassen musste, was ihr Lover ihr überbringen will. Er machte es mimisch in „tragender Rolle“ vor. Der Kanadier fand es lustig, machte aber super mit. Das Ganze ging dann für einige Zuschauer bis an die Schmerzgrenze des Erlaubten. Zur Überraschung und Begeisterung aller spielten alle vier mit, bekamen viel Applaus.

Wir aßen gegen 13 Uhr in der Rue Galante bei D’Ici & D’Ailleurs.

Marsch durch den Irrgarten Avignon, ohne Stadtplan würde ich mich ziemlich verloren gefühlt haben.

Vorteil solcher vermeintlichen Irrgärten ist, man entdeckt unerwartet Orte, Dinge, Sachen oder Menschen, die man gerade, vor einem auftauchend, nicht vermutet hätte. Hinterhöfe, Gänge, verwinkelte Ecken, wo Überraschendes einen ereilt.

Wo genau die Speisekarte auf den Tischen dieses Restaurants lag, fiel dem Tempo zum Opfer, in dem wir uns durch die Gassen bewegten.

Wie es so geht, plötzlich – welch ein Signal – tauchte die Markthalle vor uns auf, einseitig total grün bewachsen. Nach einigen unnötigen zusätzlichen Durchschreitungen von Gassen, die wir eigentlich nicht gehen wollten, erreichten wir den Platz Pasteur wieder. Was nun machen? Die mörderische Hitze in der Stadt irgendwie überstehen? Oder zurück zum Campingplatz in den schattigen Platanenhain? Zögernd und zaudernd entschieden wir uns für eine Pause in eigener Umgebung. Schon von der Hitze gezeichnet, fuhren wir auf dem Rückweg an dem Chemin ahnungslos vorbei, folgten einem Pärchen auf dem Rad, überholten es, um in einer Art Sackgasse zu landen, die uns zur Umkehr zwang. Das Sirren der Zikaden dauerte an, mir fiel dazu ein, es klänge mehr nach dem Rasseln von gefüllten Kugeln eines Rhythmusinstruments (bei jeder Erwähnung eine neue Umschreibung). Nicht so schlimm der „Umweg“, wir fanden trotzdem zum WoMo zurück. Der Campingplatz Municipal entpuppte sich mehr und mehr als angenehmer Aufenthaltsort: Waschanlagen in Ordnung, keine unangenehmen Laute vom Jugendcamp, schattiges Dasein, lediglich der ab- und anschwellende Autolärm vorbeirasender Fahrzeuge beeinträchtigte das Camperglück.

Pause bis ca. 18.45 Uhr.

Jolas Vorstellung vom Resttag sah vor, mich zur Fähre zu begleiten, um dann allein zurück zu fahren. Die Mündung der Stichstraße schauten wir uns genauer an. Der Schriftzug „Légumes“ auf einem Aufsteller sollte der Merkposten für den Abzweiger sein.

Die Fähre legte gerade an, unsere beiden Räder durften als erstes aufs Boot, abzustellen auf extra ausgewiesenen Plätzen. Vier weitere Personen hievten ihre Vehikel an Bord. Zwei hübsche Asiatinnen fuhren mit. Klein, aber fein, hatten sie scheinbar für den Ausgang sharing outfit gemacht. Die eine trug den gelb schwarz karierten Rock, die andere den Blazer dazu. Ca. zwei Minuten nur dauerte die Überfahrt über die Rhône. Jola begleitete mich weiter, machte keine Anstalten, sich auf den Rückweg zu begeben.

Die kleine Zufahrt Porte de la Ligne durch die Stadtmauer brachte uns nach einer kurzen Anfahrt zum Place Carnot. Menschen umringten darauf eine Gruppe Breakdancer und beklatschten die wirbelnden Drehungen enthusiastisch. Unsere Räder ließen wir dort angeschlossen stehen. Jola begleitete mich weiter treuherzig und sie schien keinen Gedanken mehr an eine vorzeitige Rückkehr zu verschwenden. Einige Geschäfte boten ihre Waren noch an. Insgesamt wirkte das Umfeld heute etwas ruhiger, keine Hektik mehr, in den schattigen Gassen herrschte fast angenehme Kühle. An Essen hätte ich gerne wieder eins der belegten Baguette verspeist, doch der Laden befand sich an einem anderen Ende der Innenstadt. Das Haus der Weinregion Cote du Rhone in einem Hinterhof bot gegen 10 € Eintritt die Degustation verschiedener Weine der Region an, zudem spielte ein Duo auf einer kleinen Bühne alte Hits. Ganz entschlossen waren wir nicht sofort, wanderten weiter auf der Suche nach dem Baguette, ohne das Geschäft zu finden.

Wir zahlten dann den Eintritt, erhielten jeder ein Weinglas und einen Stempel auf den Handballen. In der Mitte des Hofes ein Zelt, an dem mehrere Personen jeweils Wein aus ihrer Region in Probierschlückchen ausschenkten. Mehrere Namen der Weine beinhalteten die Bezeichnung „Plan de Dieu“ (ich deutete das als den Plan Gottes). Als erstes genehmigte ich mir einen Weißwein, danach mehrere Rotweine. Einer leckerer als der andere. Auf dem Tresen standen Brotkörbe und Holzbretter mit Käse oder Schinken. Unbedacht wie ich war, wähnte ich diese als Probierhäppchen zum Wein. Doch weit gefehlt, sie gehörten anderen Weingenießern, die diese Platten teuer bezahlt hatten. Jola besorgte dann einen Käseteller, für den wir erst einige Runden im Hof drehen mussten, bevor wir eine Abstellmöglichkeit dafür fanden.

Das Duo mit der Frau am Kontrabass besang die Gäste, gegen die laute Resonanz der sich unterhaltenden Weintrinker kamen sie, trotz Verstärker, kaum an. Auch wenige Schlucke können in der Summe ihre Wirkung erzielen, der Gaumen wurde lockerer, der Körper dafür schwankender. Jola sorgte sich, ob sie mich heil zum Campingplatz zurückbringen würde. Aber kein Thema, sogar die Stichstraße wurde nicht übersehen.

2019 Mitten drin (Frankreich)

15.07.2019 Montag

Aufbruchstimmung nicht nur bei uns, Camper rollten ihre Planen zusammen, andere vertauten ihren „Zweitwagen“. Jola bezahlte und kam mit der Meldung ins WoMo, sie habe scheinbar nur für einen Tag bezahlt. Egal, den „Rabatt“ nahmen wir einfach mal an.

Alles ging bis dahin recht flott, sodass wir gegen 9 Uhr bereits den Campingplatz verließen. Ich wollte zum Supermarkt, dahin, wo wir uns gestern vor dem Regen unterstellten. Die vier Kilometer waren vergeudete Zeit, der Leclerc diente scheinbar nur Großkunden, außer bei der Bäckerei hätte ich nichts einkaufen können. Also unverrichteter Dinge auf die Autobahn, die bei Belfort 4,50 € Maut kostete. Später löhnte ich ein weiteres Mal Maut, 12 € bei Besançon. Die Automaten mit den französischen Hinweisen und Anweisungen brachten mich zur Weißglut, wahrscheinlich schimpften die hinter mir Wartenden über den „dämlichen Deutschen“. Die Autobahn war voller (als auf anderen Frankreich-Reisen), vor allem tourten mehr LKW von Nord nach Süd oder Richtung Paris. In Besançon bog ich zum Zentrum ab, die Stadt schien mir wie gemacht für eine Pause mit einer kleinen warmen Mahlzeit. Tatsächlich fand ich stadtnah einen Parkplatz, zwar kostenpflichtig, aber genügend freie Plätze für das WoMo. Kurz vor 12 Uhr marschierten wir am mächtigen Gebäude der Finanzverwaltung vorbei Richtung Marktplatz (von dem wir zu diesem Zeitpunkt noch nichts wussten). Typisch südlich die hohen Häuser, gewaltigen Bauten, als nächstes das Centre Hospitalier der Universität mit seinem Kuppelturm. Bald erreichten wir Straßenzüge mit kleinen Restaurants, Bistros und den überall vorzufindenden Modeketten (H&M oder C&A bspw.). Ein „Plat de jour“ boten mehre Lokale auf ihren Schiefertafeln an. Marschierten über die Brücke auf der Suche nach einem Mittagstisch, Straßenbahnen fuhren fast geräuschlos in kurzem Takt hin und her. Wir erwischten den richtigen Zeitpunkt und eine gute Wahl bei dem Mittagessen an zentraler Stelle gegenüber dem modernen Gebäude mit der Aufschrift „musées“ und einer Uhr, die ständig in Bewegung war, um die richtige Uhrzeit anzuzeigen.

Essen war in Ordnung, ärgerlich nur, dass wir als Touristen nicht die sonst überall hingestellte grüne Flasche mit Leitungswasser hingestellt bekamen. Bei Monoprix Bier, Wasser, eine Flasche Wein etc. eingekauft und zum WoMo geschleppt.

Dabei entdeckte ich im Pflaster des Fußweges kleine bronzefarbene Dreiecke mit runden Symbolen, Ziffernblätter von Uhren. Sie dienten als Richtungsanzeiger für einen Stadtrundgang. 2,40 € wollte der Automat für den Abstellzeitraum haben.

Weiter ging es ohne mautpflichtige Autobahn auf den Nationalstraßen, was logischerweise etwas länger dauerte. Auch hier nur zwei Baustellen mit Ampelstopp, sonst bei Tempo 80 Km/h flott die manchmal atemberaubenden Steigungen und Gefälle entlanggerauscht. Kurz vor Bourg bei Intermarché für 1,401 € getankt. Abgeerntete braune Getreidefelder, auf denen die typischen Rundballen lagen, Mähdrescher wendeten Gras, Dörfer mit tristen Durchgangsstraßen, deren Namen ich bereits nach der Durchfahrt wieder vergessen hatte, all das flog an mir vorbei. „Vins du Jura“, den gab es da, wo es ziemlich „wellig“ auf und ab ging. Villefranche sur Saône erreichten wir gegen 16.45 Uhr, Sonne schien, windig war es, besonders heftig einige Böen. Hässliches Gewerbegebiet durchfahren, dann ein Kilometer Platanen und Gewächshäuser. Campingplatzzugang war wieder mal was für Technikaffine. Immerhin waren Hinweise und Ansagen in Deutsch vorrätig. Meine Handynummer und meine E-Mailadresse musste ich eingeben, beim Namen begnügte das System sich mit „St“ und „U“. 13,30 € plus 4 € für die Karte, dann öffnete sich die Schranke und ich hatte freie Platzwahl. Musik aus einem Restaurant (La Plage) beschallte den gesamten Campingplatz, der bis dato nur sporadisch besetzt war, sich aber nach und nach später füllte. „Tanztee“ würde man die Veranstaltung im Restaurant nennen, die scheinbar eine lange Tradition besaß (wenn man dem Foto Glauben schenken wollte). Bei einem Spaziergang an der Saône sahen wir eine volle Tanzfläche, meist doch älterer Pärchen, die flott einen aufs Parkett legten.

Die mit Platanen bestandene Allee endete nach ca. 500 Metern bei einem Betonwerk. Wir kehrten um, auf den Grünflächen war eigentlich Grillverbot, trotzdem qualmte es aus einer Metallschale gen Himmel.

Nach einem Päuschen schloss sich das Abendbrot an. Danach verschafften wir uns Gewissheit über die Aura dieser Stadt. Leider konnten wir kein nennenswertes Ambiente entdecken, dass man gerne in seinen Reisenotizen vermerkt hätte. Eine hübsche Kirche fanden wir in der Nähe des Rathauses, das imposant mit Treppenportal im Zentrum thronte. Vor dem Theater ein bisschen Freiraum mit Grünzeug. Wir kehrten dem Innenstadtbereich schnell der Rücken, fuhren auf Fußwegen gegen die Einbahnstraßen zurück, ohne Stadtplan hatte ich absolut keine Lust, mich auf unbekannten Wegen zu verfahren. Nach 20.30 Uhr ein Bier am WoMo getrunken und einer skurrilen französischen Familie beim Boule zugesehen.

Morgen werden wir die Stadt schleunigst verlassen.

16.07.2019 Dienstag

Ich möchte hier gar nicht den Reisebericht mit der misslichen Geschichte um Jolas negative Reiselust bereichern, es lastete jedenfalls schwer auf der Tour.

Um es kurz zu machen, die kaum mehr als 280 Km waren eine Herausforderung. Zum einen, um um Lyon herum zu kommen, zusätzlich ein Unfall auf der A6 mit entsprechendem Stau, dann „Autobahn vermeiden“ dem Navi befohlen, was dazu führte, die Strecke überwiegend auf der Nationalstraße zurückzulegen. Ich dachte am Ende der Tour einen Drehschwindel von den vielen Kreisverkehren bekommen zu haben. Wie oft vom Navi die Ansage kam „in den Kreisverkehr einfahren und …. Ausfahrt …“ konnte ich nicht zählen. Ebenso blieben die Orte wieder namenlos zurück, dafür begleitete uns des öfteren die Rhône in ihrem überaus breiten Bett. Zumindest bis vor den vier qualmenden Atommeilern bei Montélimar glänzte die Wasseroberfläche kristallblau. Nach gut zwei Stunden eine spontane Pause an einer Épicerie mit Snack-Bar. Kaffee zum Selberziehen und eine Art Apfeltasche (eher mit Apfelmus gefüllt) mussten für unser Wohlergehen herhalten.

Bis 13 Uhr wollte ich eigentlich ein Restaurant für ein kleines Mittagessen gefunden haben, vergebens. Ein Lidl im Umfeld von Montélimar stoppte mich, es gor die Idee, Fleisch zu kaufen und selber im WoMo etwas zum Mittag zu machen. Jola blieb im WoMo und schnetzelte Gemüse zu einem Salat klein, ich kam mit Schweinekoteletts zurück.

Avignon rückte näher, die zunehmende Hitze war im Fahrtwind zu spüren, milde, lauwarme Luft umspielte meine Hand, wenn ich sie aus dem offenen Fenster hielt. Außer den Geräuschen der Fahrzeuge war das ständige „Rascheln“ der Grillen, Heuschrecken oder Zikaden zu hören (zu diesem Zeitpunkt war ich noch Unwissender, kannte nicht den Begriff „la cigale“, die in der Provence heimische Zikade mit dem typische Lärmpegel). Ohne Unterlass dröhnte der Gesang von Millionen kleiner Tierchen ans Ohr, wie ein ferner Klang eine Flaschenabfüllanlage oder besser noch wie eine sirrende Stromleitung.

Leider waren die Versuche auf den drei notierten Campingplätzen vergebens, alle „besetzt“. Ärgerlich, aber im Nachhinein auch verständlich, denn die Kleinkunstfestivitäten waren noch voll im Gange. Der letzte Versuch, Camping „Parc Libertés“, etwas außerhalb gelegen, war dann eher ein Jugendzeltlager, aber immerhin durften wir uns einen Platz auf dem wilden Areal aussuchen. Unglücklich über den abgeschiedenen Ort, schlechte Sanitäreinrichtungen (Jolas Stippvisite) und verpasste Gelegenheiten, haderten wir (Jola mehr als ich) mit dem Schicksal und der Hitze. Unser erster Versuche gegen 18 Uhr, Avignon zu erreichen scheiterte auf halber Strecke. Die Hitze war zu groß, Jola hatte keine Kopfbedeckung mit und mir schwante Ungemach ob des plötzlichen Klimawandels. Also kehrten wir um, gönnten uns eine Pause, fanden andere Stellplätze auf dem Gelände, die besser für einen Aufenthalt geeignet wären.

Gegen 19.30 Uhr starteten wir einen zweiten Versuch, der diesmal erfolgreich war und uns bis in die Altstadt gelangen ließ. Auf der Brücke das obligate Foto von der Pont St. Bénézit.

Der Trubel war hier im alten Kern riesig, so ließen wir die Räder vor der barocke Missionskirche (Chapelle Oratoire) stehen und schlenderte durch die überaus effektvoll mit Veranstaltungsplakaten dekorierten Gassen. Musik erklang hier aus einem Hinterhof oder dort von einer umringten Menschenmenge auf einer Straße. Turbulent setzten sich junge Asiaten mit Jojos in Szene, eine unscheinbare junge Frau mit Zopf sang vor dem Papstpalast Lieder von Edith Piaf, später gab eine leicht pummelige Frau zusammen mit einem Mann am Kontrabass Jazziges angenehm zu Gehör. Zeichner, Jongleure und Theater, die Stadt war voller Leben und die multinational wirkenden Menschen genossen die angenehm milde Temperatur der Nacht, ob mit einem belegten Baguette in der Hand (wie wir) oder vornehm in einem Restaurant. Stiegen die Treppen zum Papstpalast hinauf, von wo man eine hübsche Aussicht auf den Place de Palast und die Umgebung hatte. Die polizeiliche Präsenz erinnerte mich ein wenig an unseren Aufenthalt in Israel im Jahr 1996.

So um 21.30 Uhr dachte ich an die nächtliche Heimfahrt, wir standen gerade auf dem Place de l‘ horloge, bei dem ich mich zu erinnern glaubte, hier einmal über einen Wochenmarkt gegangen zu sein. Jola hatte das Bedürfnis, unbedingt in Avignon einen Pastis trinken zu wollen. Also am Place Crillon ein Plätzchen vor einer Bar gefunden, ich trank ein kleines Jupiler, Jola den gewünschten Pastis. Die Bedienung wirkte etwas zu lässig abweisend, originell die kurzen schwarzen Lederhosen (Imitat?), die alle im Service tätigen Mädels trugen. Am Nebentisch ein echter (alter) Franzose, zerzaust, lange graue Haare, Gehstock an den Tisch gelehnt, zählte seine Münzen für den Kaffee und das Glas Wasser, schaute andauernd auffordernd herüber, blieb aber stumm, bis sich ein jüngerer Franzose an den Nebentisch setzte und zu plaudern begann. So wanderten die Münzen erst einmal wieder in seine Tasche.

Die Rückfahrt im Dunkeln verlief ohne „Fehltritte“. Nachts gegen 00.00 Uhr tauchte plötzlich jemand vom Service auf, wir stünden auf einer Fläche, die „nicht versichert“ sei (herabstürzende Äste etc.), es sei nicht erlaubt, an dieser Stelle zu stehen, wir müssten umparken. Ich dachte, ich falle vom Glauben ab, sagte aber nichts. Packte die Sachen zusammen, steuerte etwas angetrunken das WoMo dorthin, wo ich bei einem Rundgang ohnehin einen freien Platz entdeckt hatte, wir das Umparken aber für nicht notwendig erachteten. Immerhin bemühte er sich um Einweisung, Stromanschluss und entschuldigte sich tausendmal.

Gegen 01.00 Uhr nahm mich mein Bett zur Ruhe auf. Jola schrieb noch im Stehen bis 01.30 Uhr weiter an ihren Aufzeichnungen.

2019 Okzitanien / Provence (noch im Elsass)

13.07.2019 Samstag

Die ersten beiden Tage verbrachten wir in Kassel und Sankt Leon.

Abreise aus St. Leon war um 9.15 Uhr. 20 € alles inklusive, Codekarte für die Schrankenöffnung, danach ließ ich sie in einen Metallkasten fallen. Auf (wohl nimmer) wiedersehen! Im Ort zur Tankstelle, 1,189 € der Liter Diesel, paradiesische Zustände. Reifendruck prüfen, ging nur bis 5 Bar, auf zwei Reifen zeigte das Gerät 5,5 Bar an.

Auf „kürzeste Strecke“ statt „schnellste“ im Navi eingestellt leitete es mich über die Autobahn A5. Hohes Verkehrsaufkommen, zum Glück keine Unfälle, flüssiges Fahren, wenig Baustellen. Rechts die Vogesen, links der Schwarzwald, der seinem Namen, wolkenverhangen, alle Ehre machte. Mulhouse durchfahren, das dauerte dann noch, bis wir den Campingplatz de l‘Ill in der Rue Pierre Coubertin gegen kurz vor 12 Uhr erreichten. Die Sonne brannte, wenn die Wolken die Strahlen durchließen. Einen Platz durften wir uns alleine aussuchen. Wählten einen im Freigelände neben dem Volleyballfeld und einem Spielplatz.

Uns winkten auf der Zufahrt zwei ältere Menschen auf Fahrrädern zu, wir beide assoziierten gleich „Lübecker“! Und richtig, wenig später tauchte der Mann neben meiner Fahrertür auf und sprach auf mich ein. Er stünde mit seinem Mobil „frei“. Empfahl uns gleich eine App „park4night“, dort fände man tolle Stellmöglichkeiten.

Gegen 15.30 Uhr machten wir den ersten Abstecher Richtung Altstadt, erst am Kanal entlang, dann Hinweisschildern durch eine wenig attraktive Straßenszenerie folgend. Das Schild „Marche“ führte mich kurzerhand auf Abwege. Markthallen boten immer Essbares. Neben bzw. vor der Markthalle fand ein opulenter Wochenmarkt statt. Üppiges Angebot an Obst und Gemüse. Gewusel, Menschen aller Herren Länder kauften und verkauften. Billig waren Tomaten, Melonen, Gurken und Paprika, alles in Hülle und Fülle vorhanden. In der Markthalle Ständer mit gut aussehendem Fleischangebot, Käse, Wurst etc. Einige Standbetreiber begannen bereits ihre Waren zusammenzuräumen. Unsere Wankelmütigkeit schwankte zwischen „nichts kaufen“ und „lecker Essen beschaffen“. Wenn „beschaffen“, dann Abtransport zum WoMo.

Tüten mit Gurke, Paprika, zwei Melonen, Pate, Salami, zwei Käse, Baguette und Tomate schleppte ich zu den Rädern. Die Rückfahrt im Suchmodus, Richtung stimmte, doch Orientierung fehlte, die kam nach dem Uni-Viertel mit „La Kunsthalle“ erst am Kanal Rhône au Rhin wieder.

Der Einkauf war sicher am Stellplatz angelangt, nun wollten die Sachen auch probiert werden. Salat, Käse, Baguette und der zweite halbe Hahn stillten unseren Appetit draußen am Tisch bei Wechsel zwischen stichiger Sonne und dunklen Wolken.

Nach der Mittagspause schickte ich uns auf die Reise zum Stadtteil Rebberg. Querten am Bahnhof über die Brücke auf die andere Kanalseite, dann Richtung „Zoo“ und weiter Avenue d‘ Altkirch. Hier konnten wir den Blick in die bergan verlaufenden Stichstraßen werfen, wo sich bereits alter Häuserbestand und wohlhabendes Umfeld zeigten, ob noch Bestand habend, wer weiß.

Nur im Highspeedmodus war der Anstieg bis zur Rue de Belvedere zu schaffen. Leider verschanzten sich die meisten Villen hinter hohen Zäunen oder dicht bewachsenem Heckenbestand. Ab und an erhaschte man einen Blick auf eins der Gebäude. Hinter dem Berg das Krankenhaus, irgendwelche Institute und der Zoo.

Der Zufall spielte uns den Metallturm Belvedere in die Hände. „Hinaufklettern auf eigene Gefahr“, die wir gerne auf uns nahmen. Tatsächlich bot sich uns ein weitreichender Ausblick über die Stadt und sein Umfeld. Zwei Richtungstafeln zeigten die entfernteren Objekte (Bergspitzen wie bspw. Belchen oder Mont Blanc) an.

Stromerten durch weitere Gassen, jetzt schon im Modus „Abfahrt“, bis wir wieder auf die Bahnhofsbrücke gelangten. Die Altstadt begingen wir vom Platz am Münster aus. Geschäfte waren zum Teil geöffnet. Einige Lokalitäten, die ich mir notiert hatte, fanden wir, waren aber (schon) geschlossen. Galettes im Angebot der Crêperie Crampous Mad in einer Nebenstraße namens Rue des Tondeurs regten den abendlichen Appetit an. Doch wir mussten uns zehn Minuten gedulden, alle Plätze waren besetzt. Drehten deshalb eine Runde um den Häuserblock. Bei der Rückkehr räumten gerade zwei Damen lächelnd den Tisch und wiesen uns mit Handzeichen an, dies sei wohl nun unser Platz. Keine Gourmetmeisterwerke diese Galettes, aber nett gegessen.

Die städtischen Mitarbeiter taten mittlerweile ihre Pflicht, räumten den Dreck aus der Fußgängerzone weg und holten Berge von Kartons nebst Plastiksäcken ab. Viel dunkelhäutiges Publikum war jetzt unterwegs. Jola meinte, hier in der Stadt wäre vor nicht allzu langer Zeit ein sozialer Brennpunkt gewesen, dem man jetzt mit „härteren“ Mitteln begegnen würde (Strafen, Videoüberwachung etc.).

Wieder am Kanal mit der markanten Brücke fanden wir schnell zum Campingplatz zurück. Dort spielte neben der Rezeption Musik, von einem provisorischen Tresen verkaufte jemand Getränke, etwas abseits stand ein Grill. Spät abends nahmen zur Mitternacht hin Böllergeräusche zu, Anzeichen für den morgen beginnenden Nationalfeiertag.

14.07.2019 Sonntag

Die Sonne machte ihre Runde, lugte über die hohen Bäume und gab etwas Wärme ab. Gegen 07.45 Uhr stellte ich Stühle und den Tisch ins Sonnenlicht.

Draußen Frühstück, einmal ganz unkompliziert, wenn auch Wurst und Käse mehrfach Wespen anlockten. Es zog sich, keine Anstalten für einen baldigen Aufbruch. Jola schien mehr von einem zweiten Aufenthaltstag zu träumen. Ich rätselte und wartete ab. Obwohl angekündigt war, dass die meisten Geschäfte heute geschlossen hatten, sollte eine Stadtbesichtigung gemacht werden.

Die Tourist-Information (Robert Schumann Straße) suchten wir als erstes auf. Dort gab es keine zusätzlichen Informationen, außer, dass der im Internet präsente „Reiseführer“ in deutsch dort als Papierversion auslag. Die Straßen sauber gefegt, keine Pappkartons standen mehr herum, Menschen schienen ebenfalls mit hinweggefegt, kaum jemand unterwegs, gut für uns Radler in der Fußgängerzone.

Das „Nouveau Bassin“, ein möglicherweise künstlich angelegtes längliches Wasserbecken, an dem sich zwischen uralten riesigen Pappeln (oder waren es Platanen?) 13 Skulpturen aus dem Zeitraum 2001 bis 2017 von verschiedenen Künstlern befanden, war unser nächstes Ziel. Auf der Hinfahrt trafen wir linker Hand auf das Gefängnis, wenig ansprechende Optik, warum auch?, könnte man denken. Erinnerte an dunkle Zeiten, als Menschen noch in Gefängnissen verschwanden, nur weil sie anders dachten. An der Ecke einer Stichstraße das Restaurant Entrecôte, gegenüber das „Tribunal justice“, wie passend.

Die Räder ketteten wir an eine „Parkbox für Hunde“ und marschierten den Park zu Fuß ab. Aus dem Wasser im Parc à sculpture sprudelte eine Fontäne, weiter weg sprossen Seerosen mit gelblichen Blüten auf der Wasseroberfläche. Links an der Allee (William Wyler) entlang führte der Radweg, rechts der Fußweg direkt am Ufer. Hinter den mächtigen Bäumen Wohnblocks, manche wohl gerade erst fertiggestellt. Viel Grünzeug und Blumen auf den Balkonen. Lichte Lücken zwischen den Hausreihen füllten beginnende Neubauten aus.

Jola bewunderte hier das 9. Objekt „la danse des trois“ (clair boit = helles Holz) aus dem Jahre 2005 von Alix Vonderweidt.

Kurios der Rundbau mit den angedockten gelben Balkonen.

Wieder am Ausgangspunkt zurück, widmeten wir uns kurze Zeit später, es war wenig nach 12 Uhr, der Speisekarte des Restaurants Entrecôte. Draußen saßen bereits erste Gäste und speisten. Mein rudimentäres Französisch reichte gerade, um den jungen Mann nach einem Tisch für zwei Personen zu fragen. Schon die Gegenfrage verstand ich nicht bzw. schnappte das Wort „terrasse“ auf und nickte mit Blick auf den freien Platz draußen. Fleisch war heute unser Gemüse, ich gönnte mir davor nudelförmige Calamares. Eine weitere Kuriosität die Toilette: hübsch in grau Ornamente auf den Kacheln im Vorraum der gemeinsamen Einrichtung, Schilder für Beeinträchtigte, Männchen und Weibchen. Bei den „Männern“ lediglich zwei Urinale, kein Objekt zum sitzen.

Das „Tribunal“ ein recht ansehnliches Gebäude mit kunstvoller Schmiedearbeit an Toren und Fenstern, die Uhr wirkte besonders herausgeputzt.

Nach dem Studium des Reiseführers lockte der Cour des chaînes, wo es in der „Franziskanergasse“ interessante Sachen zu sehen geben sollte.

Das dort ansässige Sterne-Restaurant war heute geschlossen, ohnehin waren wir ja ausreichend gesättigt. Hinter einem etwas versteckten Durchgang, sahen wir an zwei Häuserwänden historische Menschen abgebildet. Die Wand war damit vollständig bemalt.

Trotz Stadtplan blieb Mulhouse nach jeder Biegung oder Kreuzung ein Mysterium. Wir wollten zum Museum Electropolis, das etwas außerhalb lag. Unseren Weg mehrfach korrigiert, landeten wir hinter der Markthalle in einem ehemaligen Arbeiterviertel (Cite ouvrière). Das Viertel bestand aus Häusern in Reihen, die äußerlich nach Besitzern ohne viel Geld aussahen, ggf. haben Eigentümer mit einer Menge handwerklichem Engagement versucht, die Objekte in bewohnbarem Zustand zu halten.

Nach Durchfahrt durch eine der Gassen tauchte vor uns das Industriegelände der Firma DMC auf. Neugierig erkundeten wir das brach liegende Areal und entdeckten „Motoco“, die Künstlerkommune. Im Reiseführer als Ort der Kreativen bezeichnet, fanden dort Veranstaltungen, Ausstellungen und Vorführungen statt. Zugang gab es heute nicht.

Gelangten danach an die Pont l‘Ill, sahen eine Kunstschule, die Straßenbahn, fuhren unentschlossen, ob der richtigen Richtung, den Boulevard Stoessel an der Bahnlinie weiter entlang, im Rücken schwarze Wolken heraufziehend. Es begann relativ unvermittelt zu schütten, flüchteten gerade noch rechtzeitig unter das Dach der nächsten Bahnhaltestelle Daguerre. Dort harrten wir mit anderen Menschen vieler Herkunftsländer aus, manche verschwanden alsbald in den ankommenden Bahnen. Nach etwas Gesuche fand ich immerhin unseren Standort heraus. Als der Regen nachließ, riskierten wir die Fahrt Richtung Museum. Zuerst richtig ausgeschildert, brachen wir trotzdem ab, weil mein Hemd nass, es kalt war und das Ziel nicht genau geortet werden konnte. Ein Radhinweisschild „Campingplatz“ führte uns in die Irre, was zu einer Kreisfahrt führte und wir wieder an der Brücke standen. Genervt! Nahmen nun einen längeren, dafür bekannten Weg am Kunstmuseum vorbei.

Heißer Tee, frisches T-Shirt. Der Regen hörte den Tag über nicht mehr auf.