Dieppe

Der Herr über Gummi und Vulkanisator war mir nicht wohlgesonnen. Kaum stand mein Rad nach der Tour am WoMo, da verlor der Schlauch wieder rapide an Festigkeit, sprich, neuerlicher Plattfuß. Reparatur verschob ich auf den heutigen Tag, wo immer wir auch landen würden.
Kurz zum „Frühstücksfernsehen“: Der neue Nachbar mit einem alten, selbst umgebauten VW-Bus und Oldtimer-Knutschkugel, beides in weiß-blau lackiert, kam nach dem Kennzeichen aus Stade. Alleinreisender, Frühaufsteher, Vielleser und starker Raucher. Noch vor dem ersten Bissen drei Zigaretten geraucht und angestrengt gelesen. Erst bei der Abfahrt kurz einen Satz gewechselt, er am Beginn eines dreiwöchigen Urlaubs.
Ziel für uns war Dieppe, 63 km entfernt. Küstenstraße genommen, meist lange Strecken geradeaus, an einigen Ortsschildern vorbei, die mir etwas aus dem Reiseführer sagten. In einem Ort Wochenmarkt, dadurch scheinbar verstopfte Durchgangsstraße, weil Franzosen gerne „vor der Tür“ parken wollen.
Kurz vor Dieppe gestoppt, Madame Route suchte für uns einen Campingplatz, sie bot uns Camping Vitamin in knapp 2 Km Entfernung an. Jola frohlockte, warum?, weil Aldi und andere Einkaufsmöglichkeiten sich quasi vor der Haustür befanden.
Platz mit Schwimmgelegenheiten, Apfelbäumen, geschnittenen Hecken und neuen Tiny-Häusern, die noch nicht in der endgültigen Position aufgestellt waren.
Meine erste Aufgabe erlegte ich mir nach der Installation von Strom etc. mit der Reparatur meines Schlauches auf. Wieder Kopfstand vom ISY, wieder Mantel von der Felge pulen, wieder einen Eimer Wasser füllen, wieder den Schlauch aufpumpen und im Wasserbad prüfen, und, erstaunlich, nirgends blubberte es. Pumpte mehr Luft ein, der Schlauch hielt immer noch dicht. Nahm dann trotzdem den alten Flicken ab und tauschte ihn gegen einen neuen aus. Das Loch unter dem Flicken hatte sich zu einem Riss vergrößert. Routiniert aufgeraut, vulkanisiert, geklebt, gepumpt, geprüft, alles dicht! Zwischendurch baten mich zwei Französinnen ihnen zu helfen, ich kein Wort der Hilfsanfrage verstanden, sie konnten kein Englisch. Aber Zeichensprache ist oft eindeutiger. Es lag ein Zelt auf dem Boden, Sie wiesen auf die Gebrauchsanweisung hin. Ich schaute, nahm das Zelt und begann es aufzurichten, die Heringe aus dem Zubehörfach zu holen. Dann ein „non, non!“. Alles Retour, das Zelt sollte eingepackt werden. Die Anleitung war für mich wie das Französisch, ich verstand sie nicht. Sie bedankten sich artig und versuchten allein ihr Glück. Später ging die Farbige vorbei, ich hob den Daumen, sie erwiderte mit gleicher Geste, na also.
Jola kam vollbepackt vom Aldi zurück. Aßen einen Tomatensalat. Wollten eigentlich den Ort erobern, aber der Herr über Gummi und Vulkanisator hatte etwas gegen mich, der Reifen wieder platt. Verflixt….
Nun doch die komplizierte Variante, das Hinterrad ausbauen. Diesmal mit mehr Mut die Muttern gelöst und das Rad aus der Verankerung gezerrt. Neuen Schlauch eingezogen, alten nochmals aufgepumpt, Test.
Natürlich fummelte ich minutenlang mit den Drähten der Schaltung herum, die einfach nicht in ihre angestammte Position flutschen wollten. Meine Finger schon ganz aufgeraut. Jola hatte es sich zwischenzeitlich im Liegestuhl bequem gemacht und ließ ihren Bauch bräunen. Tatsächlich verlor der alte Schlauch wieder Luft, sein Pech, er wanderte in den Müllcontainer.
Hoffentlich würdigt, falls es ihn gibt, der Herr über Schlauch, Gummi und Vulkanisator, jetzt meine Reparaturkünste und -leistung.
Ich nutzte das leere Schwimmbecken für ein paar Züge. 10 Minuten mehr oder weniger im Kreis geschwommen, aber ungestört. Danach mit Jola Aufbruch nach Dieppe. Unerfreulicher Weg, Hauptstraße Avenue Gambetta mit viel Verkehr, am Ende längere Zeit abwärts. Im Zentrum, das bis dato wenig ansprechend daherkam, an der Rue de la Barre abgestiegen und zur Shoppingmeile Grand Rue geschoben.
Am Place du Puits-Salé dominant das Café des Tribuneaux. Warenangebot ähnlich wie andere Fußgängerzonen, Filialbetriebe herrschten vor. Bogen zum Strand durch eine düstere Gasse ab. Strand und Promenade trennten zwei größere Wiesenflächen, gelblich vertrocknet der Rasen, rundherum Wohnwagen, Wohnmobile und Schaustellerfahrzeuge, herrührend von einem gerade geendeten „Volksfest“. Promenade eher eintönig, keine Restaurants, unterhalb die obligatorischen Kabinen, davor meist ältliche Herrschaften beim Lesen, Sonnen, oder Austausch von Neuigkeiten.

Einmal kurz über die Kieselsteine auf dem „blauen Teppich“, ausgelegt, damit auch Behinderte ein Stück näher ans Wasser gelangen konnten, zum Meer. Das gerierte sich ungestüm, manche Badende hatten ihre Not, wieder aus den Fängen der Wellen zu entkommen.

Setzten uns wieder auf die Räder und fuhren die Promenade auf einem aufgemalten Radweg, den man eigentlich nicht so nennen dürfte, bis ans Ende, wo ein Fährschiff (nach England) am Kai lag. Hier auch der Wohnmobilstellplatz, eng, nur ein paar Stromanschlüsse, davor „mittendrin“.
Um die Ecke ein Stück „renovierte“ Altstadt, hübscher Straßenbelag, Radweg neu, gepflasterte Verkehrsinseln. Danach wieder altes Bild, unebene aufgerissene Straßen, immerhin Blick auf Hafenbecken mit Schiffen, mehr Restaurants, Kalksteinfelsen sichtbar.

Im Café Paris ließen wir uns nieder, Bedienung bekam die Note „ungenügend“, sah uns, ignorierte uns, räumte an Tischen herum, bediente eine auf Grand Dame verkleidete alte Frau mit Sonnenbrille und rosafarbenen Outfit vor uns. Meine Bierbestellung mit dem Zusatz „demi litre“ wollte er partout nicht begreifen. Immerhin brachte dann eine weibliche Servicekraft das große Leffe. Gegenüber das Tourist-Office, in dem Jola kurz verschwand.

An der Église Saint-Jacques das Geschäft Les Pepites des Pains noch offen, zwei Baguettes gekauft. 18 Uhr vorbei, zurück auf der Grand Rue, bummelten, schauten, nichts mehr gekauft.
Die Ethusiasten, die diese Bank gefertigt hatten, reichen offensichtlich nicht aus, um in Dieppe das Radwegenetz zu verbessern.

Rückfahrt auf „Schleichweg“, ohne Stadtplan, orientierten uns der Nase nach.
War so schlecht nicht. Landeten in Rouxmesnil-Bouteilles, langgezogen Auffahrt. Fragten einen braungebrannten gärtnernden Mann, der kein Englisch sprach, aber uns trotzdem mit Fingerzeig auf die Frage nach „Camping Vitamin“, den Weg wies. Der stellte sich als gar nicht so großer Umweg heraus.
Erfreuliches Resümee, mein Hinterrad hat – noch – keinen Platten.
Wollen uns einen erweiterten Eindruck von dem Ort verschaffen, verlängerten um eine Übernachtung.